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Editorial JA 10/2024

Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, Universität Regensburg

»Ich bin Reyhaneh Jabbari. Ich bin 26 Jahre alt. Ich soll erhängt werden – aber das macht mir keine Angst. Ich will allen meine Geschichte erzählen. Die Menschen sollen sie hören und sich ein eigenes Urteil bilden.«

 

Mit diesen Worten von Reyhaneh Jabbari beginnt der vielfach ausgezeichnete deutsch-französische Dokumentarfilm »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll, der anhand von Originalmaterial ihr Martyrium nacherzählt. In Notwehr hatte sie einen Chirurgen und ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter tödlich verletzt, der versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Für Jabbari war es äußerst wichtig, dass ihre Leidensgeschichte sie überlebt.

Die unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis 2024 ausgezeichnete Dokumentation porträtiert eine unfreiwillige Heldin, die im Kampf für Frauenrechte im Iran zu ihrer Berufung findet und ihr Leben gibt. Seit September 2023 läuft der Film im Kino und steht noch bis 9.4.2025 in der ARD-Mediathek basierend auf heimlich gedrehtem Film- und Ton-Material, das aus dem Iran geschmuggelt wurde, wie auch auf Interviews mit Angehörigen und ehemaligen Mitinsassinnen.

Ihre Mutter Shole Pakravan, eine prominente Schauspielerin, und ihre Schwestern leben mittlerweile in Deutschland und setzen sich gegen die Todesstrafe ein. Jabbaris Vater lebt nach wie vor im Iran; er darf nicht ausreisen.

Reyhane Jabbari ist eine 19 Jahre alte Studentin in Teheran, als die Tat geschieht. Gleich nach der Tat wird sie verhaftet, gefoltert und in einem alle Rechtsstaatlichkeit mit Füßen tretenden Verfahren wegen Mordes zum Tod durch den Strang verurteilt. Trotz vieler Beweise, die auf Notwehr hindeuten, hat Jabbari vor Gericht keine Chance. Der Getötete ist ein mächtiger und exzellent vernetzter, insbesondere von der patriarchalen Gesellschaft geschützter Mann. Im Prozess werden Beweise vernichtet. Der Richter, der die Lauterkeit der Absichten des Täters infrage stellt, wird ohne Angabe von Gründen ausgetauscht. Der neue Richter setzt die Staatsdoktrin durch, dem Opfer der versuchten Vergewaltigung, das er zur Prostituierten erniedrigte, die Schuld zu geben. Er lässt die Angeklagte wissen, sie hätte sich eben vergewaltigen lassen und danach Anzeige erstatten sollen.

Von Berlin aus setzt ihre Mutter den unerschrockenen Kampf für ihre Tochter um Gerechtigkeit fort, unter anderem mit dem berührenden Buch »Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari« (mit Steffi Niederzoll) wie auch mit der hier angesprochenen Dokumentation.

Die Dokumentation thematisiert die Aufenthalte im berüchtigten Evin- Gefängnis und die Folterungen während ihrer Haft mit Peitschenhieben und Schlafentzug. Während ihrer Inhaftierung in diversen iranischen Hochsicherheitsgefängnissen gibt Jabbari Interviews, spricht mit Journalisten und kann sogar in Einzelfällen die gegen andere Verurteilte verhängten Todesurteile abwenden; nicht aber ihr eigenes. Im Gefängnis, wo sie zu einer Stütze für viele Mitinhaftierte wird, schreibt sie hunderte Seiten Tagebuch, aus denen der Film zitiert. Von Beginn an schickt sie »Verteidigungsbriefe« an die Familie und schildert ihre Sicht auf das Geschehene am Telefon, damit ihre Mutter es mitschneiden kann.

Trotz internationaler Proteste und vieler Versuche der Familie, die Hinrichtung aufzuhalten, wird Reyhaneh Jabbari nach sieben Jahren Gefängnis (das ist der Bezug zum Titel der Doku) am 25.10.2014 gehängt. Am 25. Oktober dieses Jahres jährt sich die Ermordung von Reyhaneh Jabbari zum zehnten Mal.

Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter hatte sein Opfer in eine Wohnung eingesperrt und sexuell bedrängt. Ihre verzweifelte Reaktion, zu einem herumliegenden Messer zu greifen, nahm er nicht ernst: »Na los, stich zu«, habe er laut Reyhaneh gesagt. »Ich habe meine Hand gehoben, meine ganze Kraft zusammengenommen – und zugestochen.« Das war ein Fanal für das iranisch-islamische Patriarchat, das mit aller Schärfe reagiert. Weltweit wird das Urteil auf der Grundlage durch Folter erzwungener Geständnisse und haarsträubender Unterstellungen kritisiert. Die iranische Justiz verweist auf das »Recht auf Blutrache«: Solange Reyhaneh ihre Anschuldigungen gegen den Mann nicht zurückzieht, darf seine Familie ihren Tod verlangen. Aber Reyhaneh bleibt bei ihrer Aussage und wird im Alter von 26 Jahren gehängt. Auch aus der iranischen Gesellschaft gibt es Unterstützung: erste Schritte auf dem Weg zu jener großen Protestbewegung, die dann nach dem gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini losbricht.

Amini wurde, angeblich weil ihr Hidschab zu locker gesessen hatte, am 13.9.2022 von der Sittenpolizei verprügelt und festgenommen. Während ihrer Inhaftierung fällt sie ins Koma und verstirbt wenige Tage später. Die Doku »Frau, leben, Freiheit – Eine iranische Revolution«, die anhand anonymisierter Augenzeugenberichte den Verlauf des Aufstands schildert, war leider nur bis zum 13.8.2024 bei arte in der Mediathek eingestellt.

Jabbari und Amini – zwei junge Frauen, die aufgrund der unmenschlichen Gesetzgebung und -auslegung in ihrem Heimatland Iran sterben mussten. Meine Literaturempfehlung zur iranischen Gesellschaft seit der Islamischen Revolution: Golineh Atai »Iran – die Freiheit ist weiblich.«

Im Iran bestehen Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen in Gesetzen, der Rechtsprechung und in der gesellschaftlichen Einstellung fort. Nach der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte sind in iranischen Gefängnissen allein in der Zeit vom 22.7.2024 bis 21.8.2024 mehr als 100 politische Gefangene hingerichtet worden.

Am 16. September, dem Todestag von Jina Mahsa Amini, könnten der Schmerz und die Wut vieler Iranerinnen und Iraner über die mehr als vierzigjährige Unterdrückung durch das theokratische Mullah-System sich wieder in Protesten entladen. Vor allem die junge Generation lehnt sich seit Längerem gegen das Regime auf. Aber wieder steht zu befürchten, dass das Regime zum Machterhalt äußerst hart zurückschlagen wird.

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