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Editorial JA 8/2024

Sebastian Baur, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere deutsches und europäisches Verwaltungsrecht (Prof. Dr. Ulrich Stelkens) an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

Die Überreaktion von Social Media

Ob »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« oder »Deutschland ist multi, Nazis raus« – jede »Bubble« vereinnahmt Lieder für sich und füllt sie mit dem eigenen Gedankengut. Seien es rassistisch motivierte Jungreiche wie an Pfingsten auf Sylt im »Pony«-Club oder die Mitglieder der Gegenbewegung eine Woche später, die sich auf Partys auch nach wie vor zu L’amour toujours von DJ Gigi D’Agostino bewegen möchten, ohne den rassistischen (leider sehr melodischen) Ohrwurm im Kopf zu haben. Die angesprochene Gegenbewegung zeigt, was Social Media Positives bewirken kann, nämlich, wie Anfang des Jahres auf den Straßen geschehen, sich konsequent gegen rechtsextremes Gedankengut zur Wehr zu setzen. Was dabei jedoch nicht hilft, vielmehr schadet, sind Aufrufe und die anschließende Hetzjagd auf die Sylt-Gröler bei Social Media. Dieses Verhalten schadet deswegen, weil es im Nachhinein den Eindruck erweckt, die demokratische Mitte verstieße in einer Überreaktion gegen rechtsstaatliche Grundsätze, wohingegen rassistisches Gedankengut frei hinausgebrüllt werden dürfe. Denn die Veröffentlichung des Videos hat Empörung und Wut in der Bevölkerung hervorgerufen. Die Empörungswelle schlug dabei so hoch, dass man sich rechtswidriger Mittel bedient haben könnte, um die Sylt-Gröler ausfindig zu machen. Sogenanntes Doxing erfüllt nämlich selbst den Straftatbestand des § 126a StGB. Dieser stellt die Veröffentlichung personenbezogener Daten wie Namen, Adressen oder Telefonnummern unter Strafe. Sinn und Zweck der 2021 eingeführten Vorschrift war es, eine rechtsstaatliche Antwort auf die sog. Feindeslisten zu geben. Unter »Feindeslisten« versteht man die Sammlung von Daten (vorwiegend Adressen und Kontaktdaten) und Informationen über persönliche Umstände oder Fotos von Personen, die an beiden Rändern des politischen Spektrums von extremistischen Vereinigungen genutzt werden, um bei den entsprechenden Personen »mal zu Besuch zu kommen« (vgl. BT-Drs. 19/28678, 1). Gerade eine solche Veröffentlichung personenbezogener Daten könnte im Strudel des Algorithmus passiert sein. Das Video wurde rechtswidrigerweise unverpixelt von vielen Medien hochgeladen (vgl. hierzu das Urteil vom LG München I v. 12.6.2024 – 26 O 6325/24), sodass der Social-Media-Schwarm innerhalb von Minuten LinkedIn-Profile, Arbeitgeber und Kontaktdaten der im Video zu sehenden Personen öffentlich zugänglich machte. Wer jetzt denkt, das »Doxing« könne »gerechtfertigt« sein, da so Straftäter aufgespürt worden sind, liegt womöglich falsch, da die Grölerei auf Sylt wohl keine Straftat darstellt. Hier käme Volksverhetzung iSd § 130 StGB in Betracht. Der Tatbestand des § 130 StGB verlangt aber eine Eignung zur Friedensstörung, die wohl bei betrunkenen »Schampus-Maxen« im Gegensatz zu »SA-Parolen«-Formulierern à la Höcke nicht vorliegen dürfte. Bereits mit Beschluss vom 4.2.2010 (NJW 2010, 2193) hat das Bundesverfassungsgericht nämlich deutlich gemacht, dass die Gesellschaft ausländerfeindliche Parolen ertragen muss. In seiner Entscheidung ging es um eine Kampagne, bei der die Initiatoren plakatierten: »Aktion Ausländer Rückführung … für ein lebenswertes deutsches Augsburg«. Die Richter beschlossen, die Verurteilungen der Initiatoren wegen Volksverhetzung verstießen gegen Art. 5 I 1 GG. Vielmehr sei es an der Gesellschaft selbst, sich gegen solches Gedankengut zu wehren. Beispielhaft ist das nach der Veröffentlichung des »Correctiv-Berichts« zum Treffen in Potsdam geschehen, bei dem von der sog. Remigration von Ausländern die Rede war.

Im schlimmsten Fall könnten sich also diejenigen strafbar gemacht haben, die eigentlich Gutes wollten, und diejenigen straffrei bleiben, die Böses wollten. Vor dem Hintergrund könnten sich diejenigen, die zur Hetzjagd aufgerufen haben, auch nochmal bezüglich § 111 StGB, dem öffentlichen Aufruf zu Straftaten, Gedanken machen. Auch im Lichte einer Empörungswelle sollte es Demokraten möglich sein, Maß und Mitte zu wahren und nicht auf jede Welle bei Social Media aufzuspringen.

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