Prof. Dr. Timo Hebeler, Trier
Wehrhafte Justiz – Die Versetzung eines Richters in den Ruhestand zur Abwendung einer Beeinträchtigung der Rechtspflege
Wer die politische Diskussion einigermaßen aufmerksam verfolgt, kann seit geraumer Zeit beobachten, dass der Ton in gesellschaftlichen sowie politischen Auseinandersetzungen mitunter rauer und schärfer wird. Sehr zugespitzte Positionen, abschätzige Formulierungen und nicht selten auch beleidigendstigmatisierende Rede- und Schreibbeiträge sind zu verzeichnen. Solche Verhaltensweisen werfen vielfältige rechtliche Fragestellungen auf, und besondere Probleme stellen sich, wenn sie von Staatsdienern getätigt werden. Die Kernfrage mag dann sogar lauten: Können bzw. dürfen solche Personen (weiterhin) für den Staat tätig sein? So allgemein formuliert lässt sich darauf keine klare, eindeutige Antwort geben. Politische Meinungsäußerungen sind Staatsdienern nicht per se verwehrt. Es ist vielmehr so, dass grundsätzlich sogar ein mitdenkend-kritischer Staatsdiener erwünscht ist. Gleichsam umgekehrt gilt aber, dass es auch Positionen und Verhaltensweisen gibt, die bei einer Person, die für den Staat beruflich wirkt, inakzeptabel erscheinen. Die Etikettierung »inakzeptabel« ist aber eine unjuristische und muss daher noch in rechtliche Kategorien überführt werden. Art. 33 II GG verlangt, dass der Zugang zu öffentlichen Ämtern nach »Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung« erfolgt. Wenn eine Person umgangssprachlich als für die Ausübung öffentlicher Ämter »inakzeptabel« bezeichnet wird, so ist dies rechtlich somit eine Eignungsfrage iSv Art. 33 II GG. Einfachgesetzlich zeigt sich, dass dieser Eignungsgesichtspunkt erstens im Stadium des Zugangs zu einem öffentlichen Amt und zweitens in der Phase der Amtsausübung bedeutsam ist (s. dazu näher JA 2023, 617 ff.). Hat eine Person ein öffentliches Amt inne, so ist diese »Amtsinnehabung« regelmäßig eingekleidet in ein Dienstverhältnis, welches durch ein hohes Maß an Stabilität gekennzeichnet ist: Vor allem im Falle eines auf Lebenszeit ausgestalteten Dienstverhältnisses gibt es für den Dienstherrn hohe Hürden, dieses vorzeitig und gegen den Willen des Amtsinhabers zu lösen. Dies hat wiederum zum Hintergrund, dass insbesondere das Beamten- und Richterdienstverhältnis durch ein Treueelement geprägt ist (s. etwa § 4 Bundesbeamtengesetz: »Beamtinnnen und Beamte stehen zu ihrem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis)«). Das Treueelement gilt indes nicht nur im Verhältnis des Dienstherrn zum Beamten/Richter, sondern auch umgekehrt. Treuwidrigkeit durch den Beamten/Richter muss daher – zumindest als ultima ratio – auch eine Beendbarkeit des Dienstverhältnisses als Konsequenz nach sich ziehen können. Einfachgesetzlich ist diese Beendbarkeit sehr vielgestaltig normiert. Speziell für Richter findet sich in § 31 Deutsches Richtergesetz (DRiG) eine Regelung, die mit »Versetzung im Interesse der Rechtspflege« überschrieben ist. Diese Norm hatte bislang in der Rechtspraxis kaum eine Rolle gespielt. § 31 DRiG enthält – auf drei Nummern verteilt – die Möglichkeit, einen Richter auf Lebenszeit in ein anderes Richteramt mit gleichem Endgrundgehalt (Nr. 1), in den einstweiligen Ruhestand (Nr. 2) oder in den Ruhestand (Nr. 3) zu versetzen, wenn – so wörtlich das Gesetz – »Tatsachen außerhalb seiner richterlichen Tätigkeit eine Maßnahme dieser Art zwingend gebieten, um eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege abzuwenden«. In einer spektakulären Entscheidung vom 5.10. 2023 hat es der BGH (in seiner Eigenschaft als letztinstanzliches Richterdienstgericht) gebilligt, dass ein Richter, der zugleich AfD-Politiker ist und zudem ehemaliger Bundestagsabgeordneter war, auf Grundlage von § 31 Nr. 3 DRiG in den Ruhestand versetzt wurde, da nach Ansicht des Gerichts ein Gesamtverhalten gegeben sei, welches die Voraussetzungen des angeführten Wenn-Halbsatzes in § 31 DRiG erfülle. Diese BGH-Entscheidung findet sich im Rechtsprechungsteil des vorliegendes JA-Heftes. Sie belegt, dass dienstrechtlichen Gesetzesregelungen eine Wehrhaftigkeit in der Form zukommen kann, Staatsdiener aus dem aktiven Dienst zu entfernen, um so – wie dies § 31 DRiG verlangt – eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege abzuwenden und so die Justiz zu schützen. Es bleibt abzuwarten, ob noch andere, ähnliche gelagerte Gerichtsentscheidungen in der näheren Zukunft folgen werden. Sehr unwahrscheinlich ist dies nicht, denn in unterschiedlichen Fallgestaltungen war die Rechtsprechung neben der besagten BGH-Entscheidung bereits in der jüngeren Vergangenheit damit befasst, verfassungstreuwidrige Verhaltensweisen und in diesem Zusammenhang ergangene dienstrechtliche Maßnahmen einer Überprüfung zu unterziehen (s. auch dazu sowie zum Begriff der Verfassungstreue näher JA 2023, 617 ff.). Freilich ergingen diese Entscheidungen bislang mehrheitlich zu Beamten und nicht zu Richtern. Sollten weitere bedeutsame Entwicklungen zu verzeichnen sein, werden diese in der JA Berücksichtigung finden.