Prof. Dr. Hans Kudlich, Universität Erlangen-Nürnberg
Das E-Examen
Wenn es nicht gute Gründe dafür geben würde, in der Überschrift von Aufsätzen, insbesondere von Editorials, unter anderem auf die Floskeln »ante portas«, »quo vadis?« und »Paradigmenwechsel « zu verzichten, so müsste man hier wohl sagen: Ja, das E-Examen steht vor der Tür (bzw. ist sogar schon vereinzelt angelaufen); ja, es stellt sich die Frage, wohin damit das juristische Examen steuert; und zuletzt: Ja, es würde sich durchaus um eine sehr grundsätzliche Änderung handeln.
Gemeint ist mit dem E-Examen freilich nicht eine digitalisierte Prüfungsform, etwa in Gestalt von Multiple-choice-Aufgaben, sondern schlicht das Verfassen der Klausuren auf einem PC/ Notebook. In einer Reihe von Bundesländern soll nun eher kurz als mittelfristig – meist zuerst im zweiten Examen und auf freiwilliger Basis – die Möglichkeit einer solchen Bearbeitung eingeführt werden. Nun rechtfertigt allerdings allein der Eindruck einer insoweit »moderneren« Prüfungsform wohl kaum den mit einer solchen Umstellung verbundenen organisatorischen, aber auch finanziellen Aufwand.
Was sind also zunächst für die Prüfungsämter mögliche Vorteile? Unter dem Eindruck der während der Coronazeit mit einer Digitalisierung von juristischen Prüfungen gemachten Erfahrungen kann man konstatieren, dass – nach einer Umstellungszeit – die Verwaltung des Prüfungswesens, das Distribuieren der Prüfungen an die Korrektoren, der Zugriff auf digital im Prinzip beliebig viele Kopien etc. durchaus auch Effizienzgewinne bringt. Der für Korrektoren (vorbehaltlich der auch für sie erforderlichen Umstellung auf eine möglicherweise digitale Korrektur) nicht zu leugnende Vorteil besteht in der besseren Lesbarkeit der Klausuren, da die gegenwärtigen handschriftlichen Fassungen einen Korrektor zwar nicht oft, aber doch immer wieder an den Rand der Verzweiflung treiben. Möglicherweise spielt es für die Justizprüfungsämter, die sich immer wieder als ein durchaus »kundenfreundlicher« Teil der öffentlichen Verwaltung präsentieren, auch eine Rolle, dass ein nicht ganz unerheblicher Teil der Prüflinge sich ein digitales Prüfungsformat wünscht (so etwa 70 % der Prüflinge im ersten Durchlauf mit Wahlrecht im ersten Examen in Rheinland-Pfalz).
Für die Prüflinge hat die Arbeit am Computer neben dem oben genannten Aspekt der unleserlichen Schrift gegebenenfalls den Vorteil, dass man Teile der Klausur nachträglich bearbeiten, Gliederungspunkte verschieben etc. kann, ohne dass dies zu optisch unschönen Pfeilen, Sternchen und halbleeren Seiten führt. Auch sind viele Prüflinge, die auch in ihrer übrigen Arbeit »PC-affin« sind, der Überzeugung, dass sie (jedenfalls in gut leserlicher Form) am Rechner besser und schneller schreiben können. Solche Fälle sind sicher vorstellbar. Allerdings sollte jeder einzelne Prüfling – zumindest solange eine Wahlfreiheit besteht – für sich selbst sorgfältig einmal testen, ob er mit dem Rechner wirklich schneller ist. Auch hier gibt es Erfahrungswerte aus den »digitalen Coronasemestern«, in denen jedenfalls nach meinem Eindruck bei Klausuren, die zu Hause am Rechner geschrieben werden durften, zumindest anfangs eher weniger Text abgeliefert worden ist als bei handschriftlichen Klausuren.
Nicht zuletzt deshalb wird es, wenn ein E-Examen auch in der Ersten Juristischen Prüfung stattfindet, an den juristischen Fakultäten liegen, ihre Studierenden entsprechend darauf vorzubereiten. Idealerweise dadurch, dass auch schon in früheren Teilen des Studiums die Klausuren digital verfasst werden können (wobei eine Wahlfreiheit, wie sie in der Anfangszeit teilweise für die Examensprüfungen vorgesehen ist, organisatorisch wohl schwer zu stemmen sein würde); in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob nicht entsprechende Kurse im »Maschinenschreiben « zumindest angeboten und organisiert (wenngleich vielleicht auch nicht notwendig von Universitäten finanziert) werden sollten. Jedenfalls bzw. als Kompromiss würde es sich anbieten, wenn nicht bei den Prüfungen, dann jedenfalls in den universitären Examensklausurenkursen die Möglichkeit (wie schon bislang vielfach) anzubieten, die Lösungen maschinenschriftlich abzugeben bzw. hochzuladen. Wenn ein Prüfling dadurch dann die Gelegenheit hat, über ein oder eineinhalb Jahre das »Tippen« zu üben und anhand von mehreren Dutzend Examensklausuren auch speziell das Verfassen solcher Lösungen am Rechner zu trainieren, dürfte das als Vorbereitungsangebot durch die Universitäten genügen – für alles, was mehr erforderlich ist, sind dann die Prüflinge selbst verantwortlich.
Ein E-Examen errichtet also durchaus ernst zu nehmende, aber wohl überwindbare Hürden sowohl für die Prüfungsämter als auch für die Prüflinge. Dem stehen gewiss auf beiden Seiten auch Vorteile gegenüber, wobei eine stärkere Angleichung der vielfach als antiquiert kritisierten Examenssituation an die Realität gewiss der geringste unter diesen Vorteilen ist: Denn Fälle in Umfang und Niveau einer Examensklausur mit wenigen Hilfsmitteln in einem engen Zeitrahmen und ohne fachlichen Austausch mit den Kollegen werden in der Realität nicht nur nicht handschriftlich, sondern im Alltag in dieser Form überhaupt nicht bearbeitet. Das muss nicht schlimm sein, denn dafür ist es ja eine Prüfungssituation – man sollte eben nur bei der Wahl seiner Argumente ehrlich sein.