Die Tätigkeit vieler Juristen hat sich im 21. Jahrhundert rein äußerlich kaum verändert. Ob Angehöriger des öffentlichen
Dienstes, Richter, Rechts- oder Staatsanwalt: Noch immer dominieren Ösenhefter, Aktenböcke und – teils kaum lesbare – handschriftliche Vermerke die juristische Arbeitsweise. Auch die Professorenschaft lässt weiterhin Ergänzungslieferungen für Loseblattwerke einsortieren oder Aufsätze und Kommentare kopieren, die nur in Print verfügbar sind. Hierdurch mag der Eindruck entstanden sein, eigentlich sei alles beim Alten. Und das wiederum mag erklären, wieso die juristischen Fakultäten in Deutschland den Megatrend der Digitalisierung bislang eher stiefmütterlich behandelt und sich mit wenigen Innovationen zufriedengegeben haben.
Wenn von Digitalisierung in der Rechtswissenschaft die Rede ist, dann ist damit in der Regel der Einsatz neuer, IT-basierter Lehrformate gemeint. Dabei gerät freilich aus dem Blick, dass die Digitalisierung nicht nur die Art und Weise verändert, wie wir Lehrinhalte vermitteln und Wissen erwerben. Da die von der digitalen Transformation erfassten Lebensbereiche kein rechtsfreier Raum sind, verändert die Digitalisierung auch den Gegenstand von universitärer Forschung und Lehre, nämlich das Recht.
Wie aber kann sich die juristische Ausbildung der digitalen Transformation annehmen? Zunächst wird es erforderlich sein, den im Zuge der Digitalisierung auftretenden Rechtsfragen den erforderlichen Raum im Pflichtkanon zu geben. Den damit angesprochenen Lehrinhalten wird schon aufgrund ihres informationstechnischen Bezüge und Komplexität kaum dadurch Rechnung zu tragen sein, dass man sie in ansonsten weitgehend unveränderte, also auf klassische (Examens-)Themen fokussierte Vorlesungen integriert. Verträge über digitale Daten und Dienstleistungen, das Cyberstrafrecht, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Plattformökonomie und die Digitalisierung und Globalisierung der Arbeit – um nur einige Beispiele zu nennen – müssen prominent platziert und ausführlich behandelt werden. Für die Vermittlung eines kohärenten und möglichst umfassenden Bildes wird es zudem erforderlich sein, flankierende Zertifikatsprogramme und Postgraduiertenstudiengänge aufzulegen, die das Thema gezielt, in der gebotenen Breite sowie auf hohem akademischem Niveau behandeln.
Einige rechtswissenschaftliche Fakultäten haben sich dieser Herausforderungen bereits angenommen, etwa jene an der Universität des Saarlandes. Auch die Universität zu Köln wird voraussichtlich ab Ende 2023 einen LL.M.-Studiengang um Recht der Digitalisierung anbieten. In diesem Studiengang sollen die (neuen) juristischen Regeln für die Lebensbereiche vermittelt werden, die durch die Digitalisierung besonders geprägt werden. Das Themenportfolio für derartige Programme ist übrigens denkbar breit: Es schließt den Einsatz von Wahlcomputern und neue Überwachungstechnologien für Polizei und Nachrichtendienste ebenso ein wie die digitale Hauptversammlung und
Haftungsfragen im Zusammenhang mit automatisiertem Fahren. An dieser Stelle bleiben der Kölner und weitere innovative Studiengänge jedoch nicht stehen. Dass namentlich die ethischen Implikationen der Digitalisierung in den Blick genommen werden, ist angesichts von rasanten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und von algorithmischen Entscheidungswerkzeugen notwendiger denn je.
Für Rechtslehrer oftmals nicht leicht zu akzeptieren – und dennoch eine Überlegung, die in Köln und andernorts bei der Gestaltung neuer Studiengänge eine große Rolle spielt: Wer die digitale Transformation rechtlich bewerten will, muss auch die technischen Voraussetzungen der Digitalisierung verstehen. Konsequenterweise müssen die Studierenden mit zentralen Konzepten der Informationstechnologie vertraut gemacht werden, wozu nicht zuletzt die Grundlagen des Coding gehören. Wie werden Algorithmen entwickelt, und wo enden die Möglichkeiten der Algorithmisierung? Was sind Blockchains, und welche Rolle spielen sie im Zusammenhang mit Kryptowährungen? Fragen wie diese gehen auch Juristen etwas an. Um an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Studienangebote zum Recht der Digitalisierung sollen kein abgeflachtes Informatikstudium werden. Ziel muss aber sein, den Studierenden ein vertieftes Verständnis für die informationstechnischen Gegenstände des Digitalisierungsrechts zu vermitteln, um sie wirklich sprech- und urteilsfähig zu machen. Dies gilt umso mehr, als die Befassung mit Themen wie »Legal Tech« einen Beitrag dazu leisten kann, die Studierenden für Innovationen und Entrepreneurship zu begeistern – was im traditionellen Jurastudium kaum geschieht.
Die Folgen der digitalen Transformation, die unsere und andere Gesellschaften erfasst hat, sind heute nicht einmal ansatzweise absehbar. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass Jura eine Insel ist und die Digitalisierung an den Pforten der rechtswissenschaftlichen Fakultäten Halt machen wird. Zwar steht gegenwärtig nicht zu befürchten, dass Richter, Staats- und Rechtsanwälte oder Juraprofessoren in absehbarer Zeit durch künstliche Intelligenzen ersetzt werden. Das entlässt die Universitäten aber nicht aus der Pflicht, ihre Studierenden bestmöglich auf das spätere Berufsleben vorzubereiten. Die rechtswissenschaftliche Ausbildung muss mit anderen Worten dem Anspruch genügen, Studierenden die methodischen wie berufspraktischen Kompetenzen zu vermitteln, die in einer digitalen Gesellschaft von Juristen erwartet werden dürfen. Dieses ambitionierte Vorhaben wird allen Lehrenden die Bereitschaft abverlangen, vertiefte Gedanken über die (Arbeits-)Welt von morgen anzustellen – und sich dem technischen Wandel unserer Gesellschaft und dessen rechtlichen Dimensionen zu öffnen. Der Gesetzgeber antwortet auf Innovationen (bedauerlicherweise) oft mit großer Verzögerung. Diesen Luxus kann sich eine gleichermaßen der beruflichen Zukunft junger Menschen wie dem Gemeinwohl verpflichtete Rechtswissenschaft nicht leisten.