Prof. Dr. Christian Wolf, Universität Hannover
Die Themen werden von der Ständigen Deputation des DJT ausgewählt. Eine ohnehin nicht leichte Aufgabe, die sich im Nachhinein für den diesjährigen DJT als besonders schwierig erwiesen hat. Die Mitglieder der Ständigen Deputation legen in der Regel kurz nach dem letzten DJT die Abteilungen, die Themen und die Gutachter fest. Nur so haben die Gutachter rund ein Jahr Zeit, ihre Gutachten (im Schnitt ca. 100 Seiten) zu verfassen, damit sie ca. vier bis fünf Monate vor der Tagung zur Vorbereitung der Beratung an die Mitglieder des DJT versendet werden können. Für dieses Jahr wurden die Themen kurz nach dem letzten, dem 72. DJT in Leipzig festgelegt. Nur fand dieser nicht 2020 statt, sondern bereits 2018. Die Pandemie verhinderte, dass der 73. DJT, wie geplant, 2020 in Hamburg stattfinden konnte.
Können also Themen, die Ende 2018 festgelegt wurden, heute noch aktuell sein? Sie können! Es ist gerade der Vorteil des DJT, den langen Atem zu haben. Themen, wie zB der kollektive Rechtsschutz, wurden mehrfach auf die Tagesordnung gesetzt (zuletzt am 72. DJT in Leipzig). Trotz Dieselskandal und den Kartellrechtsklagen zum Lkw-Kartell wartet der kollektive Rechtsschutz bis heute auf eine befriedigende gesetzgeberische Lösung. In diesem Jahr befasst sich der DJT unter anderem mit dem Thema »Die nachhaltige Stadt der Zukunft«. Bei 42° Celsius zum Semesterabschluss in Hannover ein mehr als aktuelles Thema. Die Haftung für die Entscheidung autonomer (Kfz-)Systeme ist sicherlich auch nach wie vor aktuell. Alleine die heutige Generation der Kfz wirft viele Haftungsfragen auf. Ein Kfz führt auf der Autobahn eine Vollbremsung durch, weil der Algorithmus meint, man sei zu nahe aufgefahren oder habe das Lenkrad zu lange seiner automatischen Steuerung überlassen. Wird durch die Vollbremsung ein Auffahrunfall verursacht, wer haftet? Der Gutachter empfiehlt zur Lösung der Fragen die Gefährdungshaftung. Schadensersatz setzt in der Regel ein Verschulden voraus, Gefährdungshaftung ist der Ausgleich zwischen dem Vorteil der Nutzung eines erlaubten Risikos und dem daraus entstehenden Schaden. Wo diese Grenzline bei autonomen Systemen zu ziehen ist, will der DJT in Empfehlungen erarbeiten. Die strafrechtliche Abteilung befasst sich mit dem Thema des Beweistransfers. Auch hier spielen neue technische Möglichkeiten eine Rolle. Galt ursprünglich im Strafprozess uneingeschränkt das Unmittelbarkeitsprinzip, also das Prinzip, dass der Zeuge vor dem erkennenden Gericht vernommen werden muss, würde es die Technik heute erlauben, Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren aufzuzeichnen und diese Aufzeichnung der Urteilsfindung zugrunde zu legen. Greift dies zu sehr in das Recht der Angeklagten und ihrer Verteidiger ein, den Zeugen in der Hauptverhandlung zu befragen? Hierüber wird unter anderem in der strafrechtlichen Abteilung diskutiert.
Die Abteilung Justiz ist sogar noch aktueller geworden, als man wohl Ende 2018 ahnen konnte. Urteile werden im Namen des Volkes gesprochen, jedoch sind die Richter nicht demokratisch unmittelbar vom Volk gewählt. Sie beziehen ihre demokratische Legitimation durch diejenigen, die sie ernennen, Justizminister und Richterwahlausschüsse. Wie lässt sich die richterliche Unabhängigkeit einerseits garantieren und anderseits eine demokratische Rückkoppelung sicherstellen, ohne die Richter einem unmittelbaren Zugriff der Politik auszusetzen? Der Gutachter Wittrech spricht von der möglichen Unmöglichkeit des Staats, die richterliche Unabhängigkeit (formal) zu garantieren, ohne die außerrechtlichen Voraussetzungen (vor allem die innere Einstellung der Richter) beeinflussen oder gewährleisten zu können. Die Aktualität des Themas konnte der Berichterstatter in seinem Ergänzungsgutachten mit einer Reihe von EuGH-Entscheidungen zur richterlichen Unabhängigkeit in Deutschland, Polen und Rumänien belegen. Die Frage, ob die Präsidenten der Obersten Bundesgerichte revisionsrechtliche Erfahrungen benötigen, ist derzeit zwischen Politik und Richterschaft umstritten. Tobias Freudenberg, Schriftleiter der NJW, sprach jüngst in seinem Editorial in der NJW von »Übergriffiger Politik«.
Die Diskussion auf dem DJT dürfte jedenfalls nicht langweilig werden. Neben den Abteilungssitzungen und der Schlussabstimmung über die Vorschläge der Abteilungen befasst sich die Schlussveranstaltung mit dem Thema »Klimaschutz durch Gerichte?«.
Wer ist nun der DJT? Es sind die Mitglieder des DJT, der ein eingetragener Verein ist. Und wer kann Mitglied werden? Alle Juristen, und dies sind Juristen aus allen Fachrichtungen und Professionen, also Rechtsanwälte, Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsjuristen und Professoren. Das besondere des Juristentags ist, dass auch Studierende der Rechtswissenschaft und Referendare Mitglied werden und mitberaten können. Der DJT in Bonn findet übrigens im Neuen Plenarsaal des Deutschen Bundestags statt. Einmal auf dem Sitz des Kanzlers Platz nehmen und ans Rednerpult treten. Neben dem Fachprogramm bietet der DJT ein umfangreiches Rahmenprogramm, zB »Law & Order … some drinks« unter der Devise »Nach der Tagung auf die Party!«.
Für Studierende gibt es eine spezielle Einführungsveranstaltung mit dem Richter des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Henning Radtke und dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Erfurt Dr. Lars Schmidt. Am Donnerstagmorgen besteht für Studierende und Referendare die Gelegenheit, sich von allen Abteilungsvorsitzenden die Beratungen erklären zu lassen. Präsident des Juristentags ist übrigens Mathias Habersack. Wer also den Namensgeber des roten Ziegels, dem Erkennungszeichen aller Juristen, einmal persönlich begegnen will, sollte sich auf den Weg nach Bonn machen. Keine andere Fachveranstaltung ist so offen und bietet jungen Juristen so viel Vernetzungsmöglichkeiten wie der DJT.
P. S. Der JA liegt die Redaktionsbeilage der Beck’schen Zeitschriften zum 73. Deutschen Juristentag bei. Diese enthält weiterführende Informationen zum DJT, den Themen des Fachprogramms und dem Tagungsort.