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Editorial JA 5/2022

Prof. Dr. Markus Ogorek, LL.M. (Berkeley), Universität zu Köln

So wie es war, darf es nicht werden – Gedanken zur »neuen Normalität« im Jurastudium


Wie unsere Gesellschaft insgesamt, so hat die Corona-Pandemie auch die Universitäten zu einem radikalen Umdenken gezwungen.
Professorinnen und Professoren mussten ihre Lehre geradezu über Nacht in den »digitalen Raum« verlegen – und damit nicht weniger als einen Teil der akademischen Identität preisgeben. Die Folgen dieses Paradigmenwechsels sind vor allem mit Blick auf die Studierenden kaum abzuschätzen. Mehr als zwei Jahre wurden sie von Personen unterrichtet, die ihnen mitunter nur als »Off-Stimmen« eines Streams oder Podcasts bekannt sind, und sahen sich mit »Open Book«-Klausuren konfrontiert, die das Lernen von Definitionen und Streitigkeiten weitgehend entbehrlich machten. Ein Campusleben fand – bis auf ganz wenige Einzelaspekte – so gut wie nicht statt. Die Bibliotheken waren geschlossen oder nur für eine sehr kleine Zahl von Nutzerinnen und Nutzern zugänglich. Viele der jungen Menschen, die nun endlich wieder in die Universitäten strömen, verfügen daher kaum über mehr Studienerfahrung als Erstsemester. All das führt zu der eigentümlichen Situation, dass zahlreiche Studierende sich von ganzem Herzen die Präsenzuniversität (zurück-)wünschen, zugleich aber der Rückkehr auf den Campus nicht nur wegen der hohen Inzidenzwerte mit einer gewissen Sorge entgegensehen.

Auch auf den Leitungsebenen vieler Universitäten dürften angesichts des anstehenden Semesterstarts gemischte Gefühle aufkommen. Die Rektorate und Dekanate stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihre Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie kritisch zu evaluieren und sich auf eine »neue Normalität« einzustellen. Das gilt insbesondere für die Lehre, die hinsichtlich ihrer Zukunftsfestigkeit dringend auf den Prüfstand gehört. Bis zum Einsetzen der Pandemie fiel auch die Juristenausbildung eher dadurch auf, dass Abläufe zusehends »verschult« und Studierende so ihrer Eigenverantwortung teilweise enthoben wurden. Demgegenüber bedeutete der Wechsel zur digitalen Universität jedenfalls punktuell einen Zugewinn an Freiheit. So lassen sich Vorlesungsaufzeichnungen zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit wiedergeben, und zwar am heimischen Schreibtisch ebenso wie im Fitness-Studio oder im Café um die Ecke.

Außerdem konnten die Studierenden eine Vielzahl offen zugänglicher Vorlesungen ihrer eigenen wie auch anderer Hochschulen abrufen – was sogar zu zaghaften Ansätzen eines Qualitätswettbewerbs führte. Auch wenn in manchem Wissenschaftsministerium angesichts des Wechsels zur Online-Lehre vermutlich die Frage aufgekommen ist, ob Corona nicht ein ungeahntes Potential für Kosteneinsparungen eröffnet: Wir sind weit davon entfernt, dass die Pandemie das Ende der Präsenzuniversität eingeläutet hätte. Vielmehr hat uns die Krise klarer denn je vor Augen geführt, dass Universität viel mehr ist als die Vermittlung von Lehrinhalten. Dass es um menschliche Beziehungen sowie um Kommunikation und Interaktion geht, wie sie nur in der persönlichen Begegnung stattfinden können. Um es klar zu sagen: Wir Lehrenden müssen diesem Anspruch durch eine große Erreichbarkeit und Offenheit auch gerecht werden. Deutlich wurde zudem, dass die digitale »Open Book«-Klausur zwar ein gangbares Prüfungsformat ist, sie aber klassische Aufsichtsarbeiten nicht in jeder Hinsicht zu ersetzen vermag.

Vor diesem Hintergrund ist es ein Irrweg zu glauben, die Universitäten müssten im Sinne einer optimalen Kosten-Nutzen-Rechnung zu Fernhochschulen umgestaltet werden (die, um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen, ihr Handwerk zumeist blendend verstehen). Ebenso verfehlt ist die Annahme, das Rad der Zeit lasse sich auf den status quo ante zurückdrehen und die Juristenausbildung könne einfach dort ansetzen, wo sie »vor Corona« aufgehört hat. Was wir wirklich brauchen, ist Lust auf eine neuartige und innovative Lehre, die traditionelle Formate flankiert und für die Studierenden flexibel zugänglich ist. Dazu gehört die klassische Präsenzvorlesung, die gestreamt und aufgezeichnet wird. Moderne Lehre muss aber weit darüber hinausgehen: Unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse der Lernpsychologie und Didaktik müssen wir den Versuch unternehmen, genuine, also von Anfang an digital konzipierte Angebote zu kreieren, um so endlich den Eigenheiten digitalen Lernens Rechnung zu tragen. Angesprochen ist damit zB die Studiensituation am Computer, Tablet oder Smartphone mitsamt der bei Nutzung dieser Medien offensichtlich reduzierten Aufmerksamkeitsspanne. Genauso wie es ein (wenn auch nicht immer verwirklichtes) Anliegen der Hörsaallehre war und ist, Studierende zu aktivieren, muss dies auch das Ziel der digitalen Lehre sein.

Wovor wir die Universitäten schützen müssen, ist ein »Zurück« in die Zeit vor Corona. Aber auch mit einem selbstgenügsamen »weiter so« und dem Hinweis darauf, in Sachen Online-Lehre sei doch schon so vieles erreicht worden, ist es nicht getan. Wer die Studienbedingungen ernstlich verbessern und für die – auch internationale – Visibilität des deutschen Jurastudiums eintreten will, der darf nicht weniger fordern als eine seitens der Universitäts- und Fakultätsleitungen vorangetriebene digitale Revolution. Zu denken ist in diesem Kontext zB an moderne und interaktive Lernplattformen, um den Markt nicht weiterhin privaten Anbietern überlassen zu müssen. Wenn infolgedessen einige Studierende künftig vielleicht auf den Gang zum Hörsaal verzichten, sollte uns Lehrende das nicht allzu sehr ärgern oder verunsichern. Es sollte uns vielmehr anspornen, den Mehrwert persönlichkeitsgeprägter Präsenzlehre unter Beweis zu stellen. Im Übrigen gilt: Im Mittelpunkt der Universitätslehre stehen nicht wir Lehrenden, sondern die Studierenden. Alles, was zu ihrem Ausbildungserfolg beiträgt, sollte uns recht und billig sein.

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