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Editorial JA 3/2022

Prof. Dr. Christian Wolf, Hannover

Präsenzlehre oder doch lieber Online-Lehre?


Das zu Ende gehende Wintersemester 2021/2022 war das 4. Semester in Folge unter Pandemiebedingungen. Obwohl sich am Ende des Wintersemesters täglich die Einwohneranzahl einer Großstadt infiziert, haben wir uns locker gemacht. Durch die Regelungsvielfalt blickt ohnehin niemand mehr durch. Auch die Universitäten boten – streng wissenschaftsbasiert – im Wintersemester ein buntgemischtes Bild. War bis zum Sommersemester die Online-Lehre noch das Maß aller Dinge, galt im Wintersemester: 3G mit und ohne medizinische Maske oder doch besser FFP2? Abstandsregeln ja oder doch besser nein, aber vielleicht 2G und zur Sicherheit noch einen Test, oder doch ab Dezember lieber wieder in Gänze online?

Es gibt an den Universitäten – vor allem von den Universitätsleitungen – einen starken Wunsch nach Präsenzlehre. Klar, es wäre für die teilweise renovierungsbedürftigen Gebäude der Universitäten auch zu schade, wenn diese ungenutzt blieben. Investitionen in Luftfilter, eine digitale Erfassung der Anwesenden in den Hörsälen, wie dies die FU Berlin mit der Software »a.nwesen.de« vorbildlich praktiziert, waren eher selten. Folglich gibt es auch kaum eine Statistik, welchen Beitrag die Präsenzlehre zum Pandemiegeschehen leistet. Wo man die Anwesenheit nicht erfasst, kann man auch schlecht eine Statistik führen (anders wiederum die FU Berlin). Im Theater waren teilweise nur 25 % der Plätze belegt, man musste doppelt geimpft sein und zusätzlich noch einen negativen Schnelltest nachweisen. Im vollen Hörsaal nebenan reichte 3G aus.

Unter dem Hashtag »#WirWerdenLaut!« fordern Schülervertreter zwischenzeitlich Bildungspflicht statt Präsenzpflicht; Studierendenvertreter fordern zum Teil Online-Lehre, jedenfalls Hybridlehre. Letztere ist mit Sicherheit das Schlechteste aus zwei Welten. Wer im Hörsaal seine Vorlesung hält, kann nicht gleichzeitig die Reaktionen derer beobachten, die von zu Hause der gestreamten Vorlesung folgen.

Universitäten sollen ein Ort des intellektuellen Austausches sein, wo sich Studierende und Lehrende wechselseitig anregen, bestehende Erkenntnisse kritisch hinterfragen und weiterentwickeln – so die von von Humboldt inspirierte Theorie. Hierzu muss man sich auch persönlich begegnen können. Im Hörsaal, im Seminar und in der Bibliothek. Aber: Spiegelt dies die Wirklichkeit der Präsenzlehre realistisch wider, oder überhöhen wir diese im Rückblick nicht? Standen die Dozierenden vor 300 Studierenden, die an ihren Lippen klebten, die die reading assignments alle gelesen haben? Kurz: die perfekt vorbereitet im Hörsaal saßen und darauf brannten, Fragen zu stellen und zu beantworten? Gelang es uns wirklich, in einem großen Hörsaal alle Studierenden zu erreichen? Haben wir jemals die Atmosphäre geschaffen und erlebt, die Scott Turow in seinem Buch »One L – The Turbulent True Story of a First Year at Harvard Law School« für das erste Jahr des Jura-Studiums in Harvard beschreibt? Und fällt die Online-Lehre wirklich demgegenüber so stark ab?

Die Online-Lehre hat uns eine Reihe von Möglichkeiten eröffnet. Um nur einige Beispiele zu nennen: Mit der Chatfunktion besteht eine einfache Möglichkeit, Nachfragen zu stellen. Studierende müssen nicht die Hemmung überwinden, die Frage vor allen anderen zu stellen. Auch können die Fragen direkt im Chat beantwortet werden,ohne vom roten Faden der Vorlesung abzuweichen. Gleichzeitig können aber Fragen, die für das Verständnis aller wichtig sind, auch mit allen diskutiert werden. Hilfreich, ja fast eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist, die Vorlesung zusammen mit einem Assistenten zu halten, der den Chat überwacht. Auch Juristen haben »Forschungslabore«: Entscheidungen der Höchstgerichte, Kommentare, Handbücher, Monographien, vor allem Datenbanken, wie beck-online. Die dogmatische Darstellung eines
Rechtsgebiets aus einem Guss in einer Vorlesung hat seinen unbestreitbaren Wert. Hat es aber nicht auch seinen Wert, die Studierenden in das »Forschungslabor« live mitzunehmen? Während der Vorlesung gemeinsam bei beck-online oder in einem Kommentar nachzulesen und den Bildschirm zu teilen? Im Hörsaal können dies allenfalls die Dozenten, nicht jedoch die Studierenden. Breakout Rooms lassen sich online weitaus leichter einrichten, als dies im Hörsaal möglich ist.

Online-Lehre ermöglicht aber auch weitaus unkomplizierter, Gastvortragende zu gewinnen. Der Bitte, sich für zwei Stunden für einen Vortrag vor den Rechner zu setzen, kann man einfacher nachkommen, als wenn dies mit einer umständlichen Anreise und einer Übernachtung verbunden ist. Jemanden zu einem Vortrag aus New York oder San Francisco einzuladen, ist als Präsenzveranstaltung nur möglich, wenn diese Person sich ohnehin in Deutschland aufhält – online kein Problem. Gleichzeitig wird der Kreis des angesprochenen Publikums erweitert. Die Teilnahme an Kolloquien, Gastvorträgen und Konferenzen ist nicht auf den eigenen Hochschulstandort beschränkt. Gewiefte Studierende haben es auch geschafft, sich in die Vorlesungen anderer Universitäten einzuloggen. Warum auch nicht? Open source bei Vorlesungen!

Grundvoraussetzung, damit dies alles funktioniert, ist: WEBCAM AN! Für eine Generation, die alles Mögliche und vor allem Unmögliche bei Snapchat, Instagram und TikTok teilt, ist die Scheu, die Webcam anzumachen, immer wieder überraschend. Zumindest mit Weichzeichner oder einem virtuellen Hintergrund sollte dies eigentlich möglich sein. Acht Stunden einsam in schwarze Kacheln zu sprechen, ist für alle Dozierenden mehr als eine Zumutung. Bei Hybrid sitzen diejenigen, die online teilnehmen, bestenfalls in der dritten Reihe, wenn nicht gar auf einem Partiturplatz. Einer gutgemachten Online-Lehre sollte man aber auch nach der Pandemie eine Chance geben. Wer Digitalisierung will, muss diese auch in der Lehre ausprobieren und weiterentwickeln.

Persönliche Kontakte sind unerlässlich, ob hierzu unter Pandemiebedingungen große Vorlesungen in einem Hörsaal gehören oder ob die großen Hörsäle nicht lieber für kleine Veranstaltungen genutzt werden sollten, muss jedenfalls gefragt werden dürfen.

Ob Omikron wirklich so harmlos ist, wie wir es gerne hätten, wissen wir nicht. In Israel jedenfalls ist nicht nur die Zahl der Infizierten, sondern auch der Corona-Schwerkranken auf einem neuen Allzeithoch. Auch wenn wir auf Besserung im Sommersemester hoffen dürfen, so wissen wir nicht, ob die ganz unterschiedlichen Strategien des Infektionsschutzes der Universitäten ausreichen, Das Mindeste, was erforderlich ist, ist die Nachverfolgung und Erfassung derjenigen, welche sich an der Universität infiziert haben, so transparent wie möglich zu erfassen.

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