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JA Editorial 5/2021

Prof. Dr. Heinrich de Wall, Erlangen

Wormser Reichstag und Wormser Edikt 1521: »Hier stehe ich und kann nicht anders«?


Vier Jahre nach dem Reformationsjubiläum 2017 steht in diesem April wieder ein 500. Jahrestag im Jubiläumskalender: für den Reichstag zu Worms 1521. Das verweist darauf, dass die Reformation kein einzelnes Ereignis gewesen ist, sondern ein lang andauernder Vorgang mit vielen denkwürdigen Einschnitten. Dies wird uns in den nächsten Jahren bis zum 25.9. 2055, dem 500. Jahrestag des Augsburger Religionsfriedens, immer wieder vor Augen geführt werden. Die Ereignisse, deren an solchen Daten gedacht wird, machen immer wieder deutlich, dass die Reformation nicht nur ein kirchliches, theologisches Ereignis war, sondern dass sie auch die Rechtsgeschichte Deutschlands tief geprägt hat. Das gilt auch für den Wormser Reichstag 1521, der eines der markanten Daten der Reformationsgeschichte ist. Der Martin Luther zugeschriebene Satz: »Hier stehe ich und kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen!«, der auf dem Reichstag in Worms gefallen sein soll, hat sich tief ins historische Bewusstsein der Deutschen eingeprägt. Obwohl er so nicht gefallen ist, wurde er auf einem der Souvenirartikel zum 500. Jahresfest der Reformation wiedergegeben: der Luthersocke.

Abgesehen von solch Anekdotischem gibt es gute Gründe, in einer juristischen Ausbildungszeitschrift an die Wormser Ereignisse zu erinnern. Der Reichstag zu Worms ist ein Zeichen dafür, dass die Reformation auch ein politisches Ereignis war, das auf der Versammlung der Stände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – der Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte – verhandelt wurde. Dabei war der Wormser Reichstag 1521 der erste Reichstag, der von dem jungen, damals 21-jährigen Kaiser Karl V. einberufen wurde (in dessen Reich, wie man plastisch formuliert hat, die Sonne nicht unterging) – schon deshalb ein historisches Datum von hohem Rang.

Zwei Ereignisse, die mit dem Wormser Reichstag verbunden sind, sind für das Recht und seine Geschichte von besonderer Bedeutung und besonders im Gedächtnis geblieben. Das eine ist das »Wormser Edikt«, die Verhängung der »Reichsacht« über Martin Luther (Acht = »Ächtung«, dh Fried- und Rechtloserklärung). Dieser sollte von Jedermann, der seiner habhaft werden konnte, an den Heiligen Stuhl in Rom ausgeliefert werden. Niemand durfte ihn beherbergen. Ferner wurden die Lektüre und die Verbreitung von Luthers Schriften verboten. Rechtshistorisch von Bedeutung ist dabei auch, dass Karl V. in seiner Wahlkapitulation (dh der Aufstellung der Bedingungen, unter denen die Kurfürsten ihn zum Kaiser gewählt hatten und deren Erfüllung er versprochen hatte) zugestanden hatte, dass die Reichsacht nur nach Durchführung eines förmlichen Verfahrens verhängt werden durfte: Dies war der rechtliche Grund dafür, weshalb der Fall Luthers vor dem Reichstag verhandelt werden musste. Karl V. hatte Luther allerdings für den Reichstag freies Geleit zugesichert, sodass dieser Worms ungehindert verlassen und in seine sächsische Heimat zurückkehren durfte. Der sächsische Kurfürst hat aber bekanntlich vorsichtshalber Luther entführen und auf die Wartburg in Sicherheit bringen lassen, wo Luther die Bibel in die deutsche Sprache übersetzte.

Noch markanter für die Rechtsgeschichte ist der Auftritt Luthers vor dem Kaiser im Rahmen des Reichstages. Am 17.4. 1521 wurde Luther in den Bischofshof zu Worms vorgeladen, wo der Kaiser untergebracht war. Im Saal der Anhörung, die unter großem Gedränge und in Anwesenheit zahlreicher Würdenträger stattfand, forderte der Kaiser Luther auf, seine Schriften zu widerrufen. Luther, der mit der Abhaltung einer Disputation,
der damals üblichen akademischen Vortrags- und Diskussionsform, gerechnet hatte, erbat Bedenkzeit. Sie wurde für einen Tag gewährt. Am 18.4. 1521 hielt dann Luther seine berühmte Ansprache, in der er äußerte: »… Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde, … so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen«. Der genannte plakative Satz kondensiert diese Aussage zwar nicht ganz unzutreffend. Der entscheidende Aspekt kommt darin aber nicht deutlich zur Geltung: die Berufung Luthers auf sein Gewissen – die Rechtfertigung seiner Handlungsweise damit, dass der vom Kaiser geforderte Widerruf seiner Aussagen seinem Gewissen widerspreche.

Die Frage, ob man rechtlich verpflichtet werden kann, gegen sein Gewissen zu handeln, stellt sich bis heute in vielerlei Zusammenhängen. Dies wird deutlich an so unterschiedlichen Regelungen wie der Bindung der Bundestagsabgeordneten allein an ihr Gewissen (das »freie Mandat«, Art. 38 I 2 GG), der Freiheit des Gewissens in Art. 4 I GG und im Recht auf Kriegsdienstverweigerung als dessen Konkretisierung in Art. 4 III GG. Auf das Gewissen berufen sich Lebensschützer ebenso wie Steuerverweigerer. Dass das Grundgesetz die Gewissensfreiheit schützt und dem Menschen Gewissenskonflikte ersparen möchte, gehört zu seinen großen Qualitäten. Es ist eine Lehre aus einer langen Geschichte, zu der auch der Wormser Reichstag mit den Worten Luthers gehört. Gleichzeitig wird daran aber auch die Ambivalenz des Gewissens deutlich. Die Ereignisse in Worms haben die Spaltung der Kirche nicht unerheblich befördert. Konfessionelle Auseinandersetzungen haben viele Opfer gefordert. Wer sich gegen das Recht auf das Gewissen beruft, übernimmt, das wird hieran deutlich, eine hohe Verantwortung. Das gilt gleichermaßen aber auch für den, der das Gewissen herausfordert, indem er einen anderen zu bewegen versucht, gegen das, was dieser als innerste Verpflichtung empfindet, zu handeln. Auch dies verdeutlichen die Vorgänge zu Worms. Es gibt genügend Anlass, auch nach 500 Jahren noch im Rahmen der juristischen Ausbildung an sie zu erinnern.

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