Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, Regensburg
Vor 250 Jahren wurde Georg Wilhelm Friedrich Hegel geboren – Vernunft und Freiheit sind die Grundpfeiler seiner Philosophie
»Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener ist.« (Hegel)
Am 27.8. 1770 wird Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Stuttgart geboren. Weder von Adel noch finanziell privilegiert, bleibt, wem im Herzogtum Württemberg studieren will, nur die Ausbildung zum Pfarrer oder Lehrer. Hegels Studienjahre der Evangelischen Theologie und Philosophie von 1788 bis 1793 im Tübinger Stift fallen in eine – politisch wie philosophisch – Zeit im Umbruch: Der Sturm auf die Bastille am 14.7. 1789 bildet den Auftakt zur Französischen Revolution – nach Hegel die »Morgenröte der Freiheit« –, und bereits wenige Wochen später beschließt die Nationalversammlung die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Kant, dessen »Kritik der reinen Vernunft« 1787 in zweiter, stark überarbeiteter Auflage erschienen war, wird der führende und meistdiskutierte Philosoph dieser Zeit.
Die Revolution begeistert die Studenten auch in Tübingen und formt Hegel zum radikalen Demokraten und Kosmopoliten. Im Wintersemester 1790/1791 besteht wohl die außergewöhnlichste Studentenbude der europäischen Geistesgeschichte; Hegel teilt sich mit Friedrich Hölderlin und Friedrich Schelling ein Zimmer. Alle drei protestieren gegen die politischen und kirchlichen Zustände in ihrem Land und formulieren neue Prinzipien von Vernunft und Freiheit. Obwohl jünger als Hegel, wird Schelling bereits mit 23 Jahren Professor für Philosophie in Jena, wohin ihm Hegel einige Jahre später folgt.
Nach dem Studium arbeitet Hegel zunächst als Hauslehrer in Bern und Frankfurt. Seine Universitätskarriere ab 1801 beginnt als Privatdozent in Jena, die ihn dann über Bamberg, Nürnberg und Heidelberg schließlich nach Berlin führt (1818 – 1831). Dort wird er Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Johann Gottlieb Fichte, steigt zum herausragenden Philosophen seiner Zeit auf und wird 1829 auch Rektor der Universität. Vor allem seine Jahre in Berlin sind es, auf die sich seine Popularität und Wirkung weit über seinen Tod am 6.7. 1855 hinaus bis heute gründen.
Hegel hat vier große bedeutsame Werke geschrieben: die Jenaer »Phänomenologie des Geistes«, die Bamberger und Nürnberger »Wissenschaft der Logik«, die Heidelberger und Berliner »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« und die unter dem Doppeltitel »Grundlinien der Philosophie des Rechts« und »Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundriss« 1821 erschienene Rechtsphilosophie, auf der wesentliche Prinzipien heutiger Demokratien beruhen: das Eigentumsrecht, die bürgerliche Sphäre als Vermittlung zwischen dem Einzelnen und dem Staat sowie die staatliche Verpflichtung zum Gemeinwohl bis hin zum Schonen natürlicher Ressourcen für die Zukunft.
Zwei politische Hypotheken belasten allerdings die Erinnerung an Hegel: Karl Marx beanspruchte Hegel »vom Kopf auf die Füße« zu stellen, und Hegels »Rechtsphilosophie« wird als Verklärung des preußischen Staats, der berüchtigte Doppelsatz in der Vorrede der Rechtsphilosophie, kritisiert: »Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.«
Bis heute zieht Hegel also Verehrung wie Misstrauen auf sich. Wer hier Aufklärung sucht und zugleich sich für Hegels schwierige Philosophie und seine labyrinthische, durchaus mal eine halbe Seite langen Satzgefüge interessiert, die höchste Aufmerksamkeit und Geduld erfordern, sollte zu der vor wenigen Monaten erschienenen Biographie von Klaus Vieweg »Hegel. Der Philosoph der Freiheit« greifen. Der renommierte Hegel-Forscher Vieweg beschränkt sich nicht darauf, lediglich Hegels Lebensweg nachzuzeichnen, sondern erklärt ebenso kenntnisreich wie eingängig Hegels Philosophie und vor allem auch, welche Vorsicht beim Umgang mit Hegels Texten geboten ist, was die Lektüre zudem spannend macht (dazu S. 31– 33: »Der sehende Maulwurf und die geheime Polizei« und S. 467 ff.: »Der verfemte Doppelsatz«).
Wer in einer absolutistischen und autoritären Herrschaftsordnung leben muss, für den ist besondere Vorsicht geboten. Nachhaltig beeinflusste Hegel sein Wissen um die Schicksale der Württemberger Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart und Friedrich Schiller. Das Leben Schubarts zerstört die Geheimpolizei, und der 22-jährige Arzt und Dichter Schiller flieht am 17.9. 1782 vor seinem Herzog nach Mannheim, weil er sich das Schreiben nicht verbieten lassen will. Im Tübinger Stift wird deshalb auch von einigen Studierenden eine Tarnsprache benutzt. Später wird Hegel vom preußischen Geheimdienst überwacht.
Auf »gefährlichem Gelände« pflegt Hegel als Tarnung und Irreführung die reservatio mentalis, die kluge Köpfe durchschauen, aber nicht die Zensur. Der verfemte Doppelsatz soll in die Irre führen, wie schon der erste Paragraph der Rechtsphilosophie klärt: Nicht das Gegebene, das Vorgefundene – wie der preußische Staat –, sondern die Vernunft ist der Maßstab, vor dem das Recht sich rechtfertigen muss. Erklärend heißt es auch in der Vorlesungsnachschrift: »Was wirklich ist, ist vernünftig. Aber nicht alles ist wirklich, was existiert« (Vieweg S. 469).
Nachdem das geklärt ist, kann das Hegel-Jahr jetzt unbeschwert gefeiert werden!