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Editorial JA 6/2019

Prof. Dr. Christian Wolf, Universität Hannover

Habe nun, ach! Juristerei durchaus studiert, mit heißem Bemühn.*


Wie lange soll man Jura studieren? Die Antwort darauf gibt nicht Dr. Faust, sondern § 5d II 1 DRiG: »Der Stoff der universitären Schwerpunktbereichsprüfung und der staatlichen Pflichtfachprüfung ist so zu bemessen, dass das Studium nach viereinhalb Studienjahren abgeschlossen werden kann.« Mit anderen Worten: Der Prüfungsstoff der staatlichen Pflichtfachprüfung und der universitären Schwerpunktprüfung soll so bemessen sein, dass man im 9. Semester die Prüfung ablegen kann. Vor der Reform des juristischen Studiums 2002/2003 hat dies noch so einigermaßen geklappt. Das Studium wurde mit dem Ersten Juristischen Staatsexamen abgeschlossen, die Prüfung ausschließlich von dem jeweiligen Landesjustizprüfungsamt organisiert. Je nach Bundesland gab es zwei oder vier Prüfungstermine. Die durchschnittliche Studiendauer betrug zwar nicht neun Semester, sondern 9,6 (2006). Aber immerhin, die meisten erreichten die Zielmarke von neun Semestern fast.

Ob neun Semester eine wünschenswerte Zielmarke sind, lässt sich durchaus mit Recht hinterfragen. Für diejenigen, die den Freischuss anstreben, dürfen es sogar längstens acht Semester sein, § 5d V 2 DRiG. 17 + 4 + 2 = 23. Wer mit 17 Abitur macht, kann, wenn alles glatt läuft, mit 23 als Volljurist Richter sein und über die Kündigung eines Mietvertrags einer siebenköpfigen Familie, die Abschiebung eines Asylbewerbers oder die Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers, dem vorgeworfen wird, einen abgelaufenen Joghurt seines Arbeitgebers entwendet zu haben, entscheiden. Eine durchaus beunruhigende Vorstellung. »The life of the law has not been logic: it has been experience«, so Oliver Wendell Holmes, Jr. in seinem berühmten Buch The Common Law (1881). Wer als Jurist Fälle entscheiden muss, benötigt nicht nur einen logischen Verstand, sondern auch soziale Intelligenz und Lebenserfahrung (experience). Dies hat man mit 23 Jahren in der Regel noch nicht.

Allerdings auch hier gilt: In der Regel wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die Reform des juristischen Studiums 2002/2003 hat faktisch die durchschnittliche Studiendauer von 9,6 Semestern 2006 auf 11,3 Semester 2011 erhöht. Hinzu kommen noch nicht ganz vernachlässigbare Leer(nicht Lehr-!)zeiten. Die Prüfungszeiten von Schwerpunktprüfung, staatlichem Teil und Anmeldung zum Referendariat sind – um es vorsichtig zu formulieren – suboptimal aufeinander abgestimmt. Wer zB in Niedersachsen zum 1. März Rechtsreferendar werden will, muss sein Zeugnis spätestens am 31. Dezember in Händen halten, mitten im Semester. Wer erst im Januar im Schwerpunkt geprüft wird, kann bis zum nächsten Einstellungstermin am 1. Juni immerhin Lebenserfahrung sammeln.

Auf Initiative von Nordrhein-Westfalen hat der Bundesrat einen Gesetzgebungsvorschlag unterbreitet, nach dem in § 5a I 1 DRiG die Studienzeit von derzeit vier Jahren auf viereinhalb Jahre heraufgesetzt und die Gesamtdauer des Studiums in § 5d V 2 DRiG auf fünf Jahre erhöht werden soll. Dies verdient uneingeschränkt Beifall: Damit wird gleichzeitig die Regelstudienzeit und damit die Höchstförderdauer für das BAföG der Realität angenähert. Die Gesamtstudiendauer entspricht damit der Studiendauer von Masterstudiengängen. Der Initiative liegt darüber hinaus noch eine weise Einsicht zugrunde. Derzeit bemüht sich die Justizministerkonferenz wieder intensiver, die Prüfungsbedingungen zu vereinheitlichen und den Prüfungsstoff zu reduzieren. 2016 wurde ein erster Vorschlag vorgelegt und nach einer einjährigen Konsultation, an der sich auch die JA und die NJW mit einer gemeinsamen Konferenz beteiligt haben, der zuständige Koordinierungsausschuss der JuMiKo beauftragt, im Herbst 2019 ein neues konsultiertes Papier vorzulegen.

In dem Bundesratsantrag (BR-Drs. 616/18) heißt es hierzu (vielleicht etwas resignierend), dass eine Reduzierung des Prüfungsstoffs nicht realistisch ist. Jedenfalls sei dies nicht wünschenswert, denn die fachliche Eignung für den Eintritt in den juristischen Vorbereitungsdienst wäre damit nicht gewährleistet. Richtig! Das Referendariat ist denkbar schlecht geeignet, neues dogmatisches Wissen zu vermitteln. Der Stoffumfang zwischen Erster Juristischer Prüfung und Zweitem Staatsexamen muss synchronisiert werden.

Ansonsten gilt die Einsicht von Dr. Faust zu den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis:

Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält.


* Goethe, Faust: Eine Tragödie, Erster Teil Kapitel 4 (leicht gekürzt).

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