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Editorial JA 11/2018

Prof. Dr. Stephan Breidenbach

Digitalisierung und der Anwaltsberuf von Morgen


Die Juristenausbildung scheint sich nicht zu verändern. Die Frage lautet dabei: Können wir uns das angesichts der Digitalisierung unserer Gesellschaft weiterhin erlauben? Juristen waren lange Zeit auf eine seltsame Weise unberührt von dieser Entwicklung. Unter dem Begriff Legal Tech kommt die Digitalisierung mit Verzögerung nun auch im Recht an. Dabei werden vor allem drei ineinandergreifende Entwicklungen deutlich:

- Digitale Tools ermöglichen die »Industrialisierung« auch von Rechtsdienstleistungen. Wiederkehrende Elemente lassen sich standardisieren.
Generatoren ermöglichen es, mit feinsten Bausteinen komplizierte Texte zu erstellen. Zunächst für Anwälte und unter Umständen immer mehr
ohne Anwälte. Anwälte werden Prozesse und Systeme designen, mit denen ihre Klienten selbstständig agieren können. Mehr Recht für mehr
Menschen.

- Wie lange es noch dauern wird, bis wir dem Computer eine Frage stellen werden, die »er« oder »sie« mit einer selbstständigen Lösung beantwortet, sei dahingestellt. Jeder einzelne Arbeitsschritt erhält ein Stück Intelligenz. Verträge werden sich selbst mit anderen vergleichen und
Empfehlungen generieren. Jedes Stück Text, das Juristen – noch – schreiben, sucht sich selbst die passenden Kommentarstellen und Referenzurteile. An Machine Learning führt in Zukunft kein Weg vorbei.

- Blockchain ermöglicht dezentrales, anonymisiertes Interagieren. Vertrauen in Mittler, zum Beispiel in Banken, wird durch anonymisiertes
Vertrauen auf technischer Basis ersetzt. So ermöglicht die Blockchain Verträge, die sich selbst durchsetzen. Software tritt an die Stelle von
Vertragsbestandteilen. Kollaborative Entscheidungsfindung in Gremien, Organisationen und Unternehmen kann automatisiert werden. Und
auch Lieferketten lassen sich komplett transparent gestalten.

Was heißt das für junge Juristen und Juristinnen?

- Juristen werden zunehmend Produkte entwickeln, die online angeboten werden. Das erfordert Denken vom Nutzer her. Was braucht der
Mandant wirklich? Und wie ein Designer schärft die Juristin dann durch Rapid Prototyping und immer wieder neue Tests und Entwicklungsschritte ihr Produkt. Im besten Sinne ist es industriell, wenn es eine hohe Qualität hat und eine Fragestellung oder einen Vertrag standardisiert und mit intelligenter Nutzerführung aufbereitet.

- Produkte verlangen Prozesse. Eine digitale Fertigungsstraße braucht klare Vorgehensschritte, insbesondere wenn Teile automatisiert werden sollen.

- Industrialisierung, Produkte und Prozesse verlangen Präzision. Digitalisierung bedeutet, Regeln in Code abzubilden. Das wiederum setzt eine
präzise Gedankenführung voraus, die auch mit komplizierten Regelstrukturen mit Ausnahmen und Unterausnahmen usw. umgehen kann.
Erfahrungsgemäß brauchen selbst sehr gute Juristen Zeit, dieses Maß an Präzision zu entwickeln und umzusetzen.

- Recht, Prozesse und Berechnungen sind Regeln. Texte aus Bausteinen werden nach Regeln zusammengesetzt. Regeln lassen sich in Computercode abbilden. Regeln, die nur auf Daten und Informationen aufbauen, können im nächsten Schritt vollständig automatisiert werden. Juristischer Sachverstand und Entwickler-Knowhow müssen zusammenkommen.

- Die verschiedenen Kompetenzen, die hier gefordert sind, müssen nicht in einer Person repräsentiert sein. Verteilt fordern sie jedoch gerade vom Juristen die Kompetenz zusammenzuarbeiten. Im Studium als Einzelkämpfer ausgebildet ist Kollaboration nicht selbstverständlich. Legal
Engineers und Wissensarchitekten sind nur zwei Beispiele für neue Fähigkeitenprofile.

- Das beschriebene Spektrum der Digitalisierung verlangt nicht nur Technik zu integrieren. Es fordert herkömmliche Organisationsmodelle und
Führungsverständnis heraus. Wie gehen Juristen mit flachen Hierarchien um? Neben der Karriere wird intrinsische Motivation immer wichtiger.
Fehlerkultur ist essentiell. Und Selbstreflexion ist eine unverzichtbare Basis. Neue Geschäftsmodelle und neues Arbeiten in etablierten Kanzleien und Organisationen brauchen keine angelernten Vokabeln aus dem Führungshandbuch, sondern authentische und tiefgreifende Transformation. Junge Anwälte können neue Strukturen und Organisationen entwickeln, statt sich an alten Modellen abzukämpfen. Warum sollten nicht sie statt der Großkanzleien Talente mit ihrem zeitgemäßen Führungsverständnis anziehen?

-  Neue Geschäftsmodelle fordern gerade von Anwälten, sich mehr als Unternehmer zu verstehen. Natürlich waren Kanzleien immer schon Unternehmen. Nur verhindern Vergütungsmodelle häufig eine wirkliche Investitionsbereitschaft.

-  Anwälte ohne Mandanten haben auch bisher schon keine Zukunft. In der Digitalisierung findet Akquisition zunehmend im Internet statt. Ein
Grundverständnis für Online-Marketing und soziale Medien hilft, die Produkte und Dienstleistungen vertriebsorientiert zu gestalten.

-  Schließlich ist es mit automatisierter Bearbeitung und Industrialisierung für den Mandanten von morgen nur zum Teil getan. Darüber hinaus wird Kommunikation noch wichtiger. Interessen herausarbeiten und verstehen lernt man immer noch am besten in einer Mediationsausbildung.
Der Mandant als Mensch verlangt in vielen Fällen danach, im Mittelpunkt zu stehen.

Unverändert wichtig und im Kontext digitaler Produkte noch zentraler ist das konkret-analytische Denken des Juristen, wie es insbesondere in der Falllösung geschult wird. Hier wird die Präzision entwickelt, die für die Gestaltung von code-basierten Welten erforderlich ist. Gefragt ist die Fähigkeit, Regeln und Regelwissen aus verschiedenen Quellen schnell zu durchdringen und präzise zu verstehen und anzuwenden, nicht Detailwissen.

Viele Rechtsgebiete lassen sich schon rein juristisch ohne digitales Hintergrundverständnis nicht durchdringen. Junge Juristen werden Strategien
entwickeln sowie Prozesse und Inhalte für Standardisierungen gestalten, die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz ausloten oder die Optionen von Blockchain zu Ende denken. Dazu müssen sie nicht weniger juristisch denken, sondern eher mehr. Digitalisierung erfordert Präzision im Denken und verlangt größere Aufmerksamkeit für Details. Und sie werden ihre Perspektive öffnen: für eine vernetzte Welt, die mehr gesellschaftliche Verantwortung und eine globale Wahrnehmung verlangt. Klienten erwarten Weitblick für diese digitale Welt und keine Verweigerungshaltung. Eine Mehrheit der Bevölkerung und noch viel mehr Menschen weltweit erwarten Zugang zum Recht, der heute zu teuer oder zu risikobehaftet ist. Die Technik liefert Juristen einen Möglichkeitsraum, den es mit Vision und Kreativität zu füllen gilt. Junge Juristen können die Zukunft des Rechts gestalten. Ihre Kreativität und ihr Gestaltungswille kann ein besseres Recht für alle schaffen.

Prof. Dr. Stephan Breidenbach ist Hochschullehrer, Mediator und Unternehmer. Er ist Mitgründer des Legal Tech Centers an der Viadrina. Mit
KnowledgeTools International arbeitet er bereits seit über fünfzehn Jahren an Legal-Tech-Lösungen zur Unterstützung der inhaltlichen Arbeit von
Juristen.

(Eine längere Vorversion dieses Beitrags findet sich in »Wirtschaftsführer für junge Juristen«, Ausgabe Oktober 18, 21 ff.)

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