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Editorial JA 10/2018

Prof. Dr. Christian Wolf, Hannover

50 Jahre Juristische Arbeitsblätter– Jurastudium damals und heute

 
Die Juristischen Arbeitsblätter werden 50 Jahre alt. Vor 50 Jahren liefen die Vorbereitungen für die neue Ausbildungszeitschrift auf Hochtouren, damit zum 1.1. 1969 das erste Heft der JA erscheinen konnte. Die damaligen Herausgeber, der Strafrechtslehrer Hermann Blei, Freie Universität Berlin, der Zivilrechtslehrer Dieter Henrich, Regensburg, und der Staatsrechtslehrer Roman Herzog, Verwaltungshochschule Speyer, schrieben im Vorwort zu Heft Nummer 1 der JA:

»Die Juristischen Arbeitsblätter wollen nicht weiteres Wasser in den ohnehin stetig anschwellenden Strom des Fachschrifttums gießen, der beim Lernenden mit einem Gefühl der Desorientierung und Überforderung die Stimmungen und Verhaltensweisen hervorruft, wie sie heute dem Bild der Juristenausbildung entscheidende Konturen geben. Sie wollen aber auch kein Nürnberger Trichter sein oder zu sein vorgeben, sondern vielmehr dem jungen Juristen ein Hilfsmittel zu eigenverantwortlicher, sinn- und planvoller Arbeit bieten. Die Zukunft wird in allen Berufen größere Anforderungen stellen als je eine Zeit davor, und es wäre ein nicht nur für den Einzelnen verhängnisvoller Irrtum, Problem und Aufgabe in bloßen Examenserfolgen zu sehen: entscheidend ist nicht die Fähigkeit, einen Fundus an Wissen fachgerecht anzuwenden, sondern die Fähigkeit, sich lernend und produktiv auf der Höhe von Entwicklungen zu halten, die jetzt schon dramatisch genug sind und sich in den nächsten Jahrzehnten weder verlangsamen noch abflachen dürften.«

Damit sind das Problem der juristischen Ausbildung und der Anspruch der Juristischen Arbeitsblätter auch nach fünfzig Jahren noch zutreffend beschrieben. Von Anfang an ging es der JA darum, Orientierung anzubieten. Orientierung ist heute deutlich notwendiger geworden als vor fünfzig Jahren. Die Zukunft (aus damaliger Sicht) – also unsere Gegenwart (aus unserer Sicht) – stellt, wie die Herausgeber Blei, Herzog und Henrich treffend schrieben, größere Anforderungen als je eine Zeit davor. Wie richtig die Prognose war verdeutlicht allein der Bedeutungsgewinn des Europarechts. Die Europäischen Gemeinschaften (EURATOM, EGKS und EWG) bestanden damals noch aus sechs Mitgliedern (den Benelux-Staaten, Frankreich, Italien und Deutschland). In der Juristenausbildung spielten sie so gut wie keine Rolle. Heute bestimmt insbesondere das Verbraucherrecht der EU weite Bereiche unseres Schuldrechtsverständnisses. Ohne ein Verständnis für das Zusammenspiel von im BGB umgesetztem Richtlinienrecht, wie zB der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der Richtlinie selbst und dem Zusammenspiel der jeweils unterschiedlichen Auslegungskompetenzen des EuGH und des BGH lassen sich Großteile des BGB nicht mehr zutreffend erfassen. Wir haben es heute mit einem Mehrebenensystem zu tun.

Weniger denn je geht es in der Juristenausbildung darum, einen Fundus von Wissen, welches einem nach Art eines Nürnberger Trichters beigebracht wurde, fachgerecht anzuwenden. Und auch heute gilt: Die Zukunft wird größere Anforderungen stellen. Die Konturen, wie sich unser Recht durch Legal Tech verändern wird, sind noch nicht klar zu erkennen. Eines scheint aber schon sicher zu sein: Ein Grundverständnis dafür, was Algorithmen leisten bzw. nicht leisten können, und wo die Gefahren eines zur Rechenbarkeit vereinfachten Rechts liegen, muss Gegenstand des juristischen Studiums werden. Auch wenn die Legal-Tech-Entwicklung– wollen wir an unserem differenzierten, am Ideal der Gerechtigkeit orientierten Recht festhalten – nicht zur Rechenbarkeit von BGH-Fällen führt, so wird dennoch künftig mehr denn je eigenverantwortliches sinn- und planvolles Arbeiten gefragt sein. Denn Routineaufgabe und stures Abarbeiten von Aufbauschemata werden zukünftig von Legal-Tech-Applikationen besser erledigt werden.

Nach wie vor aber gilt auch: Jura ist einer der schönsten, aber auch verantwortungsvollsten Studiengänge, die man wählen kann. Jura interpretiert und entwickelt die Spielregeln, nach denen wir unser Leben in fast allen Bereichen gestalten. Wir haben vergangene politische Entscheidungen, die zu Gesetzen wurden, auszulegen und anzuwenden. War das Schreiben dieser Gesetze eine politische, also die Polis oder das Gemein wesen betreffende Angelegenheit, kann die Interpretation und Anwendung nicht als eine rein technische und unpolitische Aufgabe angesehen werden. Zwar gebührt in einer Demokratie dem Gesetzgeber der Vorrang, unpolitisch ist die Auslegung des Gesetzes deshalb aber nicht. Dort, wo uns der Gesetzgeber nicht mehr führt, kommt es auf unser jeweiliges Verständnis von Gerechtigkeit an: Begnügen wir uns mit einer formal verstandenen Vertragsfreiheit? Oder fordern wir materielle Funktionsbedingungen der Vertragsfreiheit ein, die in Ungleichgewichtslagen nicht mehr gegeben sind, sodass der Vertrag nicht mehr Ausdruck von Selbst-, sondern Fremdbestimmung ist, wie es das BVerfG in seiner Bürgschaftsentscheidung ausgedrückt hat?

Die politischen Grundparadigmen haben sich in den letzten 50 Jahren gewandelt und werden sich weiter wandeln. Jura nicht nur als technokratische Disziplin zu verstehen (ist nun § X eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung?), sondern die Implikationen für das Leben zu erkennen, die historischen, soziologischen, philosophischen Grundlagen des Rechts zu begreifen und kurz über den Tellerrand zu sehen, macht ein Jurastudium erst spannend und wird der Verantwortung künftiger Juristengenerationen für die Gesellschaft gerecht.

Vor 50 Jahren schrieben die Gründungsherausgeber: »Die Juristischen Arbeitsblätter wollen dem jungen Juristen helfen, nicht Prüfungsstoff, sondern das Lernen zu lernen.« Dem fühlen wir uns heute noch verpflichtet.

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