Prof. Dr. Christian Fahl, Universität Greifswald
»Harmlos, weil beknackt« (wie der Berliner Verfassungsschutz einmal meinte) sind diese Querulanten aber nicht, insbesondere nicht für Gerichtsvollzieher und Polizisten, denen gegenüber sie gewalttätig werden. Im Oktober 2016 wurden drei SEK-Beamte in Georgensgmünd (Bayern) von einem Reichsbürger angeschossen, von denen einer später starb.
Was kaum einer weiß: Das BVerfG hat einen nicht unerheblichen Anteil an dem Entstehen dieser Bewegung. Ich selbst habe während meines Studiums in den 1980 er Jahren noch gelernt, dass das Deutsche Reich 1945 nicht untergegangen ist, sondern fortbestand! (Die Weimarer Reichsverfassung besteht ohnehin teilweise fort, vgl. Art. 140 GG.)
»Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch von 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist.« Nachzulesen in BVerfGE 36, 15!
Das ist die sog. Dachtheorie, weil die beiden deutschen Staaten danach unter einem – demselben – Dach bestanden. Damit hat das BVerfG den sog. Grundlagenvertrag zu halten versucht, den die damalige sozial-liberale Bundesregierung mit der DDR (nach dem Motto »Wandel durch Annäherung «) geschlossen hatte. Die Bayerische Staatsregierung meinte, das sei verfassungswidrig, weil es auf die völkerrechtliche Anerkennung der DDR als eigenständiger Staat hinauslaufe. Das BVerfG wollte diesen Schluss nicht ziehen und hat damit – gewiss unbeabsichtigt – die Reichsbürgerbewegung begründet.
Dass die Theorie nicht ganz richtig sein konnte, haben viele damals zumindest gedacht, aber nicht gesagt, weil alles, was das BVerfG sagt, Bindungswirkung hat (§ 31 BVerfGG), und es zeigte sich spätestens bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, weil ja dadurch eigentlich das Deutsche Reich hätte wiederauferstehen müssen. (Übrigens hätte nach Art. 146 GG an diesem Tage auch das GG seine Gültigkeit verlieren und durch eine »von dem deutschen Volke in freier Entscheidung« beschlossene Verfassung abgelöst werden sollen, aber auch das ist bekanntlich anders gekommen.)
Warum erzähle ich Ihnen das? Am 17.1. 2018 jährte sich die Parteiverbotsentscheidung gegen die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD), in der das BVerfG feststellte, dass die NPD zwar auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichtet sei, aber nicht verboten werden könne, weil Anhaltspunkte dafür fehlten, dass sie stark genug sei um ihre politischen Ziele auch durchzusetzen.
Bereits 2003 scheiterte ein erstes, im Jahre 2001 eingeleitetes Verbotsverfahren, weil zu viele V-Leute in die Partei waren. Damals war die Partei sicher noch weniger in der Lage, ihre Politik durchzusetzen, aber das spielte damals keine Rolle. Überhaupt war ein Parteiverbotsverfahren bisher nur zweimal erfolgreich: 1952 wurde die »Sozialistische Reichspartei« (SRP) und 1956 die »Kommunistische Partei Deutschlands« (KPD) verboten. Keine guten Aussichten für zukünftige Verbotsverfahren.
Man muss gewiss kein Verfassungsrechtler, aber man muss schon Jurist sein, um zu erkennen, auf welch schwachen Füßen das NPD-Urteil steht: »Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen … sind verfassungswidrig« (Art. 21 II 1 GG). Ipso iure! Nicht »können für verfassungswidrig erklärt werden«, sondern »sind« (per se)! Zwar entscheidet über die Frage der Verfassungswidrigkeit das BVerfG (Art. 21 II 2 GG), aber das ist nur deklaratorisch. (Darüber kann man freilich streiten, ebenso wie über die Frage, ob die Antragstellung im Belieben der Antragsberechtigten – Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung – steht – die Parteien und fast alle Politikwissenschaftler glauben das – oder sie dazu verpflichtet sind.)
Aber davon, dass die Partei irgendwelche Chancen haben muss ihre Ziele zu verwirklichen oder dass von ihr bereits eine konkrete Gefahr ausgehen muss, steht da (eindeutig) nichts – im Gegenteil, es reicht schon ein »Beeinträchtigen«! Wollte man es anders sehen, so bliebe von der angeblich »wehrhaften Demokratie« nicht viel übrig – ja, letztlich teilte diese dann dasSchicksal des ebenfalls viel beschworenen sog. Widerstandsrechts (Art. 20 IV GG), welches bekanntlich einen Pferdefuß hat. Es gilt nur, »wenn andere Abhilfe nicht möglich ist«. »Abhilfe« ist aber stets möglich, solange es noch Gerichte gibt. Und wenn es keine Gerichte mehr gibt, dann kann man sich darauf vor ihnen auch nicht mehr berufen.
Hoffen wir also, dass alles gut geht und uns die Entscheidung des BVerfG nicht irgendwann einmal auf die Füße fällt!