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Editorial JA 6/2018

Prof. Dr. Christian Wolf, Hannover

Prozesskostenhilfe oder Pro Bono


Prozesskostenhilfe klingt nach Hartz IV und erinnert einen an lange, abgenutzte Büroflure und schäbige Stühle im Wartebereich, Pro Bono hingegen nach Glamour, Charity-Event und gutem Gewissen. Muss nicht Harvey Specter in Suits auch hin und wieder Pro-Bono-Fälle machen? Pro Bono: die Welt der verchromten großformatigen Buchstaben, die auf einer Marmorwand den Kanzleinamen edel formen. Prozesskostenhilfe: die Welt von bürokratischen Formularen auf Umweltpapier. 

Hinter Prozesskostenhilfe und Pro Bono stehen zwei höchst unterschiedliche Konzepte um einen fundamentalen Grundsatz des Rechtsstaats zu verwirklichen: »Gleichen Zugang für alle zum Recht«. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts: 

»Es ist ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien werden auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Dies bedingt zugleich, daß der Staat Gerichte einrichtet und den Zugang zu ihnen jedermann in grundsätzlich gleicher Weise eröffnet. Daher ist es geboten, Vorkehrungen zu treffen, die auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen« (BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413).

Pro Bono entspringt dem amerikanischen (Rechts-)Denken. Im Mittelpunkt steht nicht, wie bei der Prozesskostenhilfe, ein gegen den Staat gerichteter Anspruch, sondern der von Alexis de Tocqueville beschriebene Bürgergeist und Gemeinsinn. Gleicher Zugang zum Recht wird in den USA (sieht man vom Strafrecht ab) als Aufgabe der Bürgergesellschaft begriffen, die sich freiwillig und aus Überzeugung hierfür einsetzt. In unserem Rechtssystem hat hingegen der Staat für den gleichen Zugang zum Recht durch Prozesskostenhilfe zu sorgen.

Beide Systeme versuchen, das Problem des gleichen Zugangs zum Recht mit unterschiedlichen Mitteln zu lösen, und beide Systeme erzielen dabei gleich mäßige Erfolge. Formal besteht in Deutschland ein Rechtsanspruch auf Prozesskostenhilfe, und die Gerichte haben der bedürftigen Partei einen Rechtsanwalt beizuordnen. Für diesen besteht Kontrahierungszwang. Das heißt, er muss das Mandat übernehmen, obendrein zum Teil zu erheblich niedrigeren Gebühren. Allerdings werden die Prozesskostenhilfemandate nicht »random« verteilt. Sieht man von den BGH-Anwälten ab, die PKH-Mandate als gemeinschaftliche Aufgabe begreifen, landen die Prozesskostenhilfefälle meist bei kleineren wirtschaftlich schwächeren Kanzleien und Einzelanwälten, nicht hingegen bei Großkanzleien. Solidarität der Schwachen mit den Schwachen und nicht der Starken mit den Schwachen!

Gleichen Zugang zum Recht kann eine solche Prozesskostenhilfe nur vermitteln, wenn man meint, dass die großen Kanzleien mit den verchromten Lettern das Prozessergebnis genauso wenig beeinflussen können wie der kleine Krauter mit dem Palandt auf dem WG-Küchentisch. Wohl kaum wäre aber ein Mandant bereit, teurere Anwälte zu bezahlen, wenn er hierfür nicht eine herausragende Rechtsdienstleistung erhalten würde. Hier stößt sich das Prinzip der egalitären Gleichheit vor dem Recht mit der Ökonomisierung des Anwaltsmarkts.

Zwar bleibt bei Pro Bono der quantitative Umfang der Rechtsberatung in den USA weit hinter dem notwendigen Bedarf zurück. Der Bürgergeist führt jedoch dazu, dass auch gute und leistungsstarke Großkanzleien sich schwierigen Fällen widmen. Überhaupt: Prozesskostenhilfemandate treffen in Deutschland denjenigen, der keine anderen Mandate hat oder der sich nicht rechtzeitig wegduckt. In den USA wird hingegen Pro Bono als Verpflichtung jedes Rechtsanwalts und jedes Studierenden formuliert. So muss zB in Florida jeder Anwalt 20 Stunden im Jahr pro Bono arbeiten oder 350 US-Dollar an eine Pro-Bono-Organisation zahlen. Das New York Bar Exam kann nur ablegen, wer 50 Stunden pro Bono nachweisen kann. An der Harvard Law School besteht ein Pro Bono Graduation Requirement von 50 Stunden. Wer nicht 50 Stunden pro Bono geleistet hat, wird nicht geprüft.

Ohne jeden Zweifel: 50 Stunden Pro Bono lösen das Problem des fehlenden Zugangs zum Recht durch anwaltliche Vertretung in den USA nicht, sie schaffen aber ein Bewusstsein, dass es vornehmste Aufgabe der Anwaltschaft ist, den Zugang zum Recht für alle zu gewährleisten. In den USA wie in Deutschland wird dem Bürgergeist etwas nachgeholfen, in den USA trifft dies wie zB in Florida jeden Anwalt, bei uns eben nur die Schwachen, die Prozesskostenhilfemandate – trotz Übernahmeverpflichtung für alle – faktisch übernehmen.

Prozesskostenhilfe ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller Anwälte. Das heutige System verletzt das Gebot der Lastengleichheit. Hier muss der Gesetzgeber dem Bürgergeist nachhelfen und sicherstellen, dass wieder Solidarität der Starken mit den Schwachen stattfindet. Der Bürgergeist kann aber auch durch die Universitäten gestärkt werden. Warum folgen wir nicht dem Beispiel der Harvard Law School und formulieren in den Studienordnungen die Erwartung, dass jeder Studierende in bestimmtem Umfang bis zum Examen sich an Pro-Bono-Rechtsberatungsprojektenbeteiligt? Hierdurch würde zumindest ein Bewusstsein, hinsichtlich der noblen Aufgabe eines Anwalts gleichen Zugang zum Recht für alle sicherzustellen, gefördert werden.

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