Editorial JA 10/2017
Prof. Dr. Hans Kudlich, Universität Erlangen- Nürnberg
Wider die Furcht vor der Universitätsprüfung
Auf der Herbstkonferenz der Justizminister am 9.11.2017 soll der Koordinierungsausschuss für die Juristenausbildung über die Diskussion mit den juristischen Fakultäten berichten, die im Zusammenhang mit dem im letzten Jahr vorgestellten Bericht »Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen: Bewertungen und Empfehlungen« in den letzten Monaten stattgefunden haben (vgl. dazu auch die Editorials in den Heften 2 und 3/2017). Eine zentrale Frage ist hierbei die nicht nur zwischen Koordinierungsausschuss und Juristenfakultätentag, sondern auch zwischen einzelnen juristischen Fakultäten und sogar innerhalb dieser Fakultäten umstrittene Zukunft der Schwerpunktausbildung und der damit verbundenen juristischen Universitätsprüfung.
Es mag eine Reihe von Gründen dafür geben, Schwerpunktausbildung und Universitätsprüfung (jedenfalls in der gegenwärtigen Form) so nicht beizubehalten, obwohl eine interessenorientierte Schwerpunktsetzung im Studium als solche gewiss ein positives Element und auch vielen anderen Studiengängen nicht fremd ist: So könnte man auf den großen Koordinierungsaufwand für die juristische Universitätsprüfung hinweisen, für den an den juristischen Fakultäten zumindest keine historisch gewachsenen Ressourcen zur Verfügung stehen (wenngleich die Erfahrungen des Verfassers dieser Zeilen hier positiv sind, aber vielleicht sind diese auch nur besonders glücklichen Umständen vor Ort geschuldet). Andere bemängeln, dass die Schwerpunktausbildung entweder nicht die Intensität erreicht, die man sich eigentlich wünschen würde, oder aber – wenn dies der Fall ist – der kontinuierlichen Vorbereitung auf die staatliche Prüfung im Pflichtteil im Wege steht (wenngleich der über mehrere Semester verteilte Aufwand einer intensiven Befassung mit dem Pflichtstoff nicht wirklich entgegensteht und das in dieser Studienphase so wichtige Vertiefen des »juristischen Denkens« zumindest teilweise im Rahmen der Schwerpunktausbildung auch mit Wirkung für den Pflichtstoffbereich erfolgen kann).
Die »beliebtesten« Einwände sind aber die »zu guten« und angeblich zu unterschiedlichen Noten. Aber sind sie wirklich so gewichtig?
Der Vorwurf, die Noten in der Juristischen Universitätsprüfung wären »zu gut«, ist ein Scheinproblem. Nirgends steht geschrieben, dass die Notengebung der Juristen so streng/schlecht sein muss, wie dies in den Staatsexamina typischerweise der Fall ist. Es bestehen keine plausiblen Anhaltspunkte dafür, dass jedenfalls diejenigen Jurastudenten, die das Studium bis zum Examen durchziehen, in einer Weise signifikant fauler oder unbegabter wären als die Studierenden anderer Fächer, in denen die Abschlussnoten deutlich besser sind. Verglichen mit den Durchschnittsnoten eines typischen Bachelor- oder Masterstudiums dürften sogar die Durchschnittsnoten der Juristischen Universitätsprüfung selbst immer noch »schlecht« sein – und dies gilt erst recht für die Gesamtnote aus staatlichem und universitärem Teil. Zumindest auf den ersten Blick schwerer wiegt der Einwand, dass zwischen einzelnen Fakultäten und hier auch zwischen einzelnen Schwerpunktbereichen große Divergenzen bei der Bewertung bestehen.
Auch das ist aber zu relativieren: Zum einen müsste erst einmal sorgfältig geprüft werden, ob unter Berücksichtigung des geringeren Einflusses auf die Gesamtnote (nur 30 % gegenüber 70 % staatlicher Prüfung) die Unterschiede wirklich so viel größer sind als sonst zwischen den juristischen Fakultäten innerhalb eines Bundeslandes oder gar verschiedener Bundesländer, wo auch im Pflichtbereich Unterschiede von einem halben bis zu einem Punkt von Termin zu Termin durchaus vorkommen. Zum anderen sollte man mit solchen Unterschieden leben können, da zu erwarten ist, dass diese etwa auch in anderen Fächern mit universitären Prüfungen (etwa in Bachelor-Fächern) zwischen den verschiedenen speziellen Studiengängen einer Lehreinheit, aber auch zwischen unterschiedlichen Universitäten bestehen. Warum gerade Personen, welche die Leistungen von Juristen vergleichen sollen (und dabei wirklich maßgeblich auf das Erste [!] Examen schauen), nicht in der Lage sein sollten, bei entsprechendem Interesse herauszufinden, wie eine Schwerpunktnote in einem bestimmten Fachbereich ungefähr einzustufen ist (so wie dies Arbeitgeber, welche nur Bachelorabsolventen einstellen, immer tun müssen, wenn sie »nach Note« einstellen wollen!), erschließt sich nicht.
Vor allem aber: Was ist schlecht daran, wenn auch die Fähigkeiten, die typischerweise im Schwerpunktstudium eine größere Rolle spielen, in die Abschlussnote einfließen? Größere Unterschiede zum staatlichen Teil dürften sich überwiegend dort ergeben, wo in der Universitätsprüfung weniger auf Klausuren als vielmehr auf wissenschaftliche Arbeiten (ggf. mit Präsentation im Rahmen eines Seminars) und mündliche Prüfungen gesetzt wird. Die hier abverlangte Fähigkeit, sich mit einem Thema intensiver auseinanderzusetzen als dies in einer 5-stündigen Klausur möglich ist, bzw. sicheres Auftreten, rasche Problemerfassung im Gespräch sowie auch eine überzeugende mündliche Präsentation, wie sie in mündlichen Prüfungen abverlangt werden, haben mit der Arbeitsrealität eines Juristen kaum weniger zu tun als eine 5-stündige Falllösung ohne Hilfsmittel. Dass Kandidaten, die einen etwas schwächeren staatlichen Teil durch sehr überzeugende Leistungen in der Universitätsprüfung ausgleichen, »in Wahrheit eigentlich« die schlechteren Juristen sind, lässt sich daher gewiss nicht in dieser Pauschalität sagen.
Das alles bedeutet nun nicht, dass über die Schwerpunktbereichsausbildung und die juristische Universitätsprüfung nicht kritisch nachgedacht werden könnte. Das in den letzten zehn Jahren »gefahrene« Prüfungssystem hat aber auch seine Vorteile und sollte nicht vorschnell marginalisiert bzw. abgeschafft werden, und insbesondere die für Juristen vielleicht nicht ganz untypische Furcht vor (vermeintlich) zu guten oder ungleichmäßigen Bewertungen sollte uns nicht zu sehr beeindrucken.