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Editorial JA 8/2015

Oliver Hinte, Geschäftsführer der Gemeinsamen Fachbibliothek Rechtswissenschaft der Universität zu Köln

Die verbotenen Früchte des Bundesgerichtshofs


Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16.4.2015 (I ZR 69/11; siehe auch Dreier NJW 2015, 1905 ff.) zur Frage, was an elektronischen Leseplätzen (oder besser, an »designated terminals«, wie es in der englischen Originalfassung der InfoSoc-Richtlinie heißt) gestattet ist, kann ganz im Sinne von Roman Herzog als »Ruck in der Informationsgesellschaft« angesehen werden. Die nicht zu unterschätzende praktische Auswirkung dieses Urteils ist, dass Bewegung in den fest gefahrenen Prozess der nationalen Urheberrechtsreform kommt. Diese Einschätzung wird dadurch untermauert, dass Gespräche zwischen den Interessenvertretern stattfinden, um den Rahmenvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52b des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) neu zu verhandeln.

Worum geht es in der angesprochenen Entscheidung? Da zum Zeitpunkt der Drucklegung des Hefts die Entscheidung noch nicht im Volltext veröffentlicht war, kann ich mich nur auf die Informationen beziehen, die aus der Pressemitteilung des BGH zu diesem Verfahren und der eigenen Prozessbeobachtung zur Verfügung stehen. Die Klägerin ist ein Verlag. Die Beklagte hat in ihrer öffentlich zugänglichen Bibliothek elektronische Leseplätze eingerichtet, an denen Bibliotheksnutzer Zugang zu bestimmten Werken aus dem Bibliotheksbestand haben. Darunter befand sich ein im Verlag der Klägerin erschienenes Lehrbuch. Die Beklagte hatte das Buch digitalisiert, um es an den elektronischen Leseplätzen bereitzustellen. Die Nutzer der Leseplätze konnten das Werk ganz oder teilweise auf Papier ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern. Ein Angebot der Klägerin, von ihr herausgegebene Lehrbücher als E-Books zu erwerben und zu nutzen, hat die Beklagte nicht angenommen. Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass die Beklagte das Werk digitalisieren und an ihren elektronischen Leseplätzen in ihren Räumlichkeiten auch ohne Einwilligung des Rechtsinhabers zugänglich machen durfte. Darüber hinaus hat der BGH festgestellt, dass die Beklagte das Urheberrecht an dem Buch auch nicht dadurch verletzt hat, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht hat, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern.

Was bedeutet das für die Praxis? Dürfen wissenschaftliche Bibliotheken ab sofort alle Werke in ihren Beständen digitalisieren und den Bibliotheksnutzern zum Ausdruck und Download zur Verfügung stellen? Das ist keineswegs der Fall. Formal steht dieser Vorgehensweise § 2 IV des Rahmenvertrags zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52b UrhG vom November 2011 entgegen. Diese Klausel besagt ausdrücklich: »Die jeweiligen Einrichtungen haben geeignete Maßnahmen zu treffen, analoge oder digitale Vervielfältigungshandlungen durch Nutzer der elektronischen Leseplätze (insbesondere Ausdrucken, Versenden per Email oder Abspeichern auf digitalen Speichermedien) zu verhindern.« Der Vertrag wurde zwischen der Kultusministerkonferenz und den Verwertungsgesellschaften WORT und BILDKUNST geschlossen und kann erst zum Ende des Jahres 2015 gekündigt werden. Erst wenn der Rahmenvertrag zur Vergütung der Ansprüche nach § 52b UrhG neu verhandelt ist, dürfen die Bibliotheken und ihre Nutzer die Früchte aus dem Urteil ernten. Bis dahin sind es noch die verbotenen paradiesischen Früchte des Downloads und Ausdrucks, die mit dem Richterspruch verlockend in Aussicht gestellt, aber noch nicht geerntet werden dürften.

Es zeigt sich, wie so häufig im Urheberrecht, dass vieles, was technisch möglich ist, leider rechtlich untersagt bleibt. Das Urteil darf vor dem Hintergrund der aktuellen Reformbestrebungen im Urheberrecht auf keinen Fall isoliert betrachtet werden. Auf internationaler Ebene finden momentan in Genf regelmäßig Verhandlungen beim Standing Committee on Copyright and Related Rights (SCCR) der World Intellectual Property Organization (WIPO) zum Abschluss einer Vereinbarung über »Limitations and exceptions for libraries and archives«, vergleichbar mit den deutschen Schrankenregelungen, statt, die internationale Gültigkeit erlangen soll. Gleichzeitig muss man die europäische Urheberrechtsdebatte im Auge behalten, die ihren aktuellen Höhepunkt durch die Verabschiedung des sogenannten »Reda-Reports« durch den Rechtsausschuss des Europarlaments erreicht hat. Und nicht zu vergessen ist die nationale Diskussion um die Einführung einer sogenannten allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht. Diese sollte vor allen Dingen das Ziel haben, das Urheberrecht einfacher handhabbar zu gestalten und für einen gerechten Ausgleich der Ansprüche zwischen Urhebern, Werkvermittlern und Nutzern zu sorgen. Es bleibt abzuwarten, wie diese Prozesse voranschreiten und anschließend miteinander in Einklang gebracht werden können.

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