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Editorial JA 5/2015

Prof. Dr. Hans Kudlich, Universität Erlangen-Nürnberg

Offene Fragen – auch im »innersten Kern« des Strafrechts


Eigentlich – so sollte man meinen – müssten doch im sogenannten »Kernstrafrecht« (und insbesondere in solchen Bereichen, die im wahrsten Sinne des Wortes bereits im Dekalog geregelt sind) alle Fragen längst geklärt sein. Soweit Änderungen im materiellen Strafrecht diskutiert werden, dürften diese nur noch kleinere Details, Randfragen oder das Nebenstrafrecht betreffen. Aber weit gefehlt! Gegenwärtig beschäftigen zwei Gesetzesvorhaben den Gesetzgeber bzw. vorbereitende Expertenkommissionen, welche gleichsam den »innersten Kern des Kernstrafrechts«, nämlich den strafrechtlichen Schutz desmenschlichen Lebens als höchstrangiges Strafrechtsgut überhaupt betreffen.

Durchaus von einer gewissen Medienöffentlichkeit, jedenfalls aber auch von der Fachwelt intensiv begleitet, arbeitet seit rund einem Jahr eine Expertenkommission mit ausgewiesenen Fachleuten an einer Reform der Tötungsdelikte, deren Ergebnisse in diesem Sommer vorgestellt werden sollen (und die bei einem konkreten Gesetzesvorhaben gewiss auch ausführlicheren Niederschlag in einem Beitrag in der JA finden werden). Im Mittelpunkt steht dabei eine Reform des Mordparagraphen, der in seiner gegenwärtigen Form noch aus der NS-Zeit stammt und bei dem verschiedene Mordmerkmale immer wieder zu Anwendungsschwierigkeiten führen. Ob freilich solche Schwierigkeiten (unter gleichzeitiger Ermöglichung hinreichend differenzierter und auch »angemessen erscheinender« Ergebnisse) durch andere Gesetzesfassungen so ohne Weiteres vermieden werden können, bleibt abzuwarten. Immerhin hat die Auslegung des § 211 StGB in den letzten sieben Jahrzehnten doch weitgehend Konturen angenommen, und das grundsätzliche Spannungsverhältniszwischen einem gleichsam instinktiv extrem hohen Strafbedürfnis bei der vorsätzlichen Vernichtung fremden Lebens auf der einen und dem Bekenntnis zu einem nicht archaischen, rechtsstaatlichen Strafrecht auf der anderen Seite wird sich auch durch Formulierungsänderungen nicht ohne Weiteres beseitigen lassen (zumal nicht ausgeschlossen sein dürfte, dass die Rechtsprechung noch mehr oder weniger lange die überkommenen Wertungen und Abgrenzungskriterien teilweise auch in neue Tatbestandsmerkmale »hineinlesen« wird).

Möglicherweise zu substanzielleren Änderungen führen könnte daher ein zweites Reformvorhaben, das gegenwärtig etwas »im Schatten« der allgemeinen Reform der Tötungsdelikte vorbereitet wird: die Strafbarkeit der (jedenfalls geschäftsmäßigen bzw. gewerblichen) Suizidbeihilfe. Nach der lex lata ist die Beihilfe zum Suizid (anders als grundsätzlich die aktive Sterbehilfe, arg e § 216 StGB) aus Akzessorietätsgründen ebenso straflos wie der Suizid selbst. Werden daher dem Sterbewilligen »nur« die Möglichkeiten bereitet, eigenverantwortlich und in eigener Tatherrschaft das eigene Leben zu beenden, so ist diese Hilfestellung gegenwärtig nicht strafbar. Dies soll nach einer fraktionsübergreifenden(aber auch kontrovers diskutierten und teilweise vehement bestrittenen) Auffassung in Zukunft anders werden: Wer geschäftsmäßig anderen Menschen die Gelegenheit zum Suizid bereitet oder vermittelt, mithin also Kapital aus der dem Sterbewillen häufig zugrunde liegenden extremen Konfliktsituation schlägt, soll – dogmatisch gewissermaßen als eigenständig pönalisierte Form einer sonst straflosen Beihilfehandlung – bestraft werden. Das ist nicht nur ein gewaltiger Bruch mit der gegenwärtigen gesetzlichen Systematik, sondern auch mit Blick auf das zu schützende Rechtsgut auf der einen und auf das Selbstbestimmungsrecht des (freiverantwortlichen) Suizidenten auf der anderen Seite bemerkenswert. Wird schon der althergebrachten Vorschrift des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) der Vorwurf des Paternalismus gemacht, gilt dies für die Strafbarkeit der bloßen Unterstützung einer freiverantwortlichen Selbsttötung in potenzierter Form. Sollte das Gesetz – im Extremfall – zur Folge haben, dass man einemfreiverantwortlichen Sterbewilligen nicht helfen, sondern ihn nur darauf verweisen kann, doch von einem Kirchturm zu springen oder sich vor einen Zug zu werfen, hat dies etwas Menschenverachtendes. Nun wollen auch die Befürworter jener Strafbarkeit den potentiellen Suizidenten nicht pauschal allein lassen bzw. nicht jeden Angehörigen oder Arzt, der in einer Extremsituation Hilfe leistet, ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Ende des Lebens zu finden, bestrafen. Wo hier freilich die Grenzen (auch mit hinreichender Genauigkeit, die dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht wird und den Helfer keinen unübersehbaren Strafbarkeitsrisiken aussetzt) zu ziehen sind, ist schwer zu bestimmen. Auch das auf den ersten Blick gut gemeinte Kriterium der »Geschäftsmäßigkeit« ist nicht ganz unproblematisch, wenn dies letztlich dazu führt, dass professionelle, einen würdigen Tod ermöglichende Hilfe unter Strafe gestellt ist (und nur laienhafter Dilettantismus, der zu unnötigen Qualen führt, zulässig ist). Umgekehrt ist das Anliegen freilich auch ernst zu nehmen, denn gerade in einer Zeit einer zunehmend alternden Gesellschaft ist etwa die Vorstellung von professionellen »Sterbehelfern«, die in Altersheimen Werbeflyer auslegen und alten, pflegebedürftigen Menschen subtil suggerieren, sie müssten besser aus dem Leben scheiden als durch hohe Pflegekosten das Erbe ihrer Kinder zu verprassen, absolut inakzeptabel.

All diese Fragen bleiben auch im Detail spannend – über konkrete darauf gegebene Antworten hinaus ist aber doch besonders interessant zu sehen, wie selbst bei den elementarsten strafrechtlichen Fragen geänderte Rechtsüberzeugungen oder aber sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse immer wieder zu einem neuen Nachdenken des Gesetzgebers führen.

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