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Editorial JA 4/2015

Prof. Dr. Christian von Coelln, Studiendekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, und Dr. Helga Wessel, Studiendekanin bis 2012, Kompetenzzentrum

Plädoyer für die Abschaffung der Schwerpunktbereiche


Die Einführung der Schwerpunktbereiche war der Versuch, verschiedensten Interessen gerecht zu werden. Den Fakultäten wollte der Gesetzgeber Gutes tun durch Chancen zur Profilbildung und Übertragung von Verantwortung, den Studierenden durch frühzeitige berufliche Orientierung, Wahl- und Vertiefungsmöglichkeiten, Förderung von Kreativität und Präsentationsfähigkeit, der Gesellschaft durch Stärkung wissenschaftlicher Aspekte und Abschaffung von fälschungsanfälligen Fall-Hausarbeiten (sowie den Anwälten durch Senkung der Nachwuchszahlen mittels Änderung von Berechnungsgrößen, was hier außer Acht bleiben soll). Nach ca. zehn Jahren Erfahrungen ist es an der Zeit, zu vergleichen, was hätte sein sollen und was ist.

Von Profilbildung zeugt die heutige Fakultätenlandschaft wenig; fast überall gehen die Schwerpunktbereiche »querbeet«. Alles andere wäre auch erstaunlich: Kern der universitären Ausbildungsaufgabe ist nach wie vor der Pflichtfachstoff. Daher braucht jede Fakultät einen entsprechend breit aufgestellten Lehrkörper; sie kann schwerlich einen Teil davon mit der Begründung, sein Gebiet passe nicht ins Profil, von der Schwerpunktbereichslehre ausschließen.

Vermehrte Verantwortung tragen die Fakultäten allerdings zweifellos, hängen doch 30% der Examensnote nun von ihnen ab. Doch der Preis ist immens. Prüfungsorganisation, -verwaltung, -abnahme binden in enormem Maße Ressourcen, die anderswo fehlen. An finanzieller Unterstützung mangelt es, Entlastung durch Verminderung der Zulassungszahlen gab es nur kurzfristig.

Als Vorteil betrachten es freilich viele Hochschullehrer, dass die Schwerpunktbereiche ihnen den Weg zu Vorlesungen in ihren Spezialgebieten eröffnen. Das kann die Einheit von Forschung und Lehre befördern und auch Studierenden motivierende Erfahrungen bescheren. Das kann aber auch zu Ödnis außerhalb des Spezialisten-Paradieses führen, wenn niemand mehr Anfängervorlesungen oder Übungen halten mag und diese als »ungeliebte Pflichtaufgabe« auf die Hochschullehrer abgewälzt werden, die sich am wenigsten wehren (können). In den Spezialgebieten kann der Wunsch, möglichst viele Hörer in seinem Lieblingsgebiet zu haben, zu besonders attraktiver Gestaltung der Veranstaltungen führen. Er kann aber auch zur Gewährung besonders guter Noten führen, sodass mit Blick auf deren Aussagekraft ein »race to the bottom« droht.

Hinsichtlich der beabsichtigten Gewinne für Studierende drängt sich nicht nur die Frage auf, ob Berufsorientierung überhaupt schon so früh beginnen sollte. Es gibt auch keinerlei Erkenntnisse darüber, ob und wie Schwerpunktbereiche die Berufswahl und -ausübung beeinflussen. Vor allem: Werden in Schwerpunktbereichen wirklich mehr Dinge gelehrt, die der Praxis dienlich sind, als in den Pflicht- oder Grundlagenfächern?

Natürlich ist es für viele Studierende tatsächlich motivierend, Fächer nach Interesse wählen zu dürfen. Indes zeigt die raue Wirklichkeit, dass die Frage, wo man bessere Noten bekommt, das Interesse nicht nur in Einzelfällen überlagert.

Auch mit der Vertiefung von Wissen ist es so eine Sache – liegt der Akzent der Schwerpunktbereiche nicht eher auf »zusätzlich« als auf »vertiefend«? Und Kreativität oder kommunikative Kompetenzen fördern sie ebenfalls nur sehr bedingt. Selbst an Fakultäten, an denen ein Seminarvortrag Teil des Schwerpunktbereichsexamens ist, wird die Präsentation selten vermittelt und eingeübt, sondern schlicht abgeprüft.

Die Stärkung wissenschaftlicher Aspekte blieb weitgehend Illusion. Im vollgepackten Studienprogramm ist wenig Spielraum, um die Herangehensweise an eine thematisch-wissenschaftliche Arbeit zu üben. Man kann die Schwerpunktbereiche sogar mittelbar für einen schleichenden Verlust von Wissenschaftlichkeit verantwortlich machen, weil die Belastung durch sie manchen Hochschullehrer zum Rückzug aus der staatlichen Prüfung verleitet. Je mehr diese aber Praktikern überlassen wird, desto eher droht Wissenschaftlichkeit verloren zu gehen.

Zudem passen die Schwerpunktbereiche schlecht in den Studienablauf. Sie bringen bei gleichzeitig zunehmender Stofffülle der Pflichtfächer zusätzliche Materie, die es zu »lernen«, zu »können«, zu »beherrschen« gilt. Wer sich ihnen vor dem staatlichen Prüfungsteil widmet, unterbricht den Lernprozess in den Pflichtfächern, schiebt ungefestigtes Wissen und Können für andere Themen beiseite. Darüber hinaus gefährdet er seinen Freiversuch und vielerorts auch den Verbesserungsversuch. Wer den Schwerpunktbereich nach hinten verlagert, verlängert sein Studium. Das verbraucht Lebenszeit und kann auch den Fakultäten nicht recht sein, weil es ihr Ansehen bei den Kultusbürokratien mindert und sich überall da negativ auswirkt, wo Studienzeiten Parameter für Finanzzuweisungen sind.

Zuletzt sei die Gesellschaft in den Blick genommen. Sie ist auf Juristen angewiesen – auf gute Juristen. Solche zu erkennen, gelang bislang recht zuverlässig anhand der Staatsexamensnoten, die trotz mancher Unwägbarkeiten einen Qualifikationsvergleich ermöglichten. Dieser Vorteil wird durch die Schwerpunktbereiche zum Teil verspielt. Das liegt nicht einmal primär an der vielfach beklagten Noteninflation in der Hochschulprüfung; gäbe es sie nur flächendeckend und in gleicher Höhe, bliebe ja die Reihung unverändert. Das Problem sind eher systeminterne Verzerrungen: Das Notenniveau von Schwerpunktbereich zu Schwerpunktbereich ist bereits an ein und derselben Fakultät so unterschiedlich, dass deren Absolventen kaum mehr anhand ihrer Gesamtnote vergleichbar sind – von Absolventen unterschiedlicher Fakultäten ganz zu schweigen. Ursache ist unter anderem die Vielzahl der Schwerpunktbereiche und der jeweils angebotenen Veranstaltungen, die zu einer hohen Zahl von Prüfern und (zu) kleinen Gruppen führen. Manche Professoren scheinen die in der Pflichtfachprüfung üblichen strengen Maßstäbe im Schwerpunktbereich vollständig, andere gar nicht zu beherzigen, Lehrbeauftragten fehlt das Gespür für das Niveau mitunter ganz. Besonders wenig sagt die Note der Hausarbeit aus. Typischerweise themenbezogen, sollte sie ein weniger täuschungsanfälliger Ersatz für die wegen Wettbewerbsverzerrungen durch unerlaubte Hilfestellung oder wiederholte Ausgabe derselben Aufgabe abgeschaffte Fall-Hausarbeit sein. Dass aber auch sie von Dritten geschrieben werden kann, liegt auf der Hand. Auch die Hoffnung, durch die Vielzahl denkbarer Themen die Problematik der Mehrfachverwertung in den Griff bekommen zu können, wurde durch einen rasant wachsenden Fundus an Versatzstücken im Internet zumindest partiell zunichte gemacht.

Alles in allem zeigt sich, dass erwartete positive Auswirkungen der Schwerpunktbereiche nur bedingt oder gar nicht eingetreten sind. Die negativen Auswirkungen überwiegen bei weitem. Die Schwerpunktbereiche stellen sich als Irrweg dar, der wieder verlassen werden sollte. Sie gehören abgeschafft!

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