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Editorial JA 3/2015

Universitätsprofessor Dr. Hans-Joachim Koch RiOVG a.D., Universität Hamburg

Aktuelle Entwicklungen der Verbandsklage im Umweltrecht – völker- und europarechtliche Einflüsse


Seit mehr als 40 Jahren wird in Deutschland über die Einführung und Ausgestaltung einer Verbandsklage im Umweltrecht diskutiert. Maßgeblich unter völker- und europarechtlichem Einfluss haben inzwischen auch in Deutschland die Verbandsklagemöglichkeiten eine durchaus befriedigende, wenngleich noch verbesserungsbedürftige und -fähige rechtliche Ausgestaltung erfahren. Zugleich melden sich aber im Zusammenhang mit Verbandsklagen gegen die staatliche Gestattung großer Infrastruktur- und Industrieprojekte Stimmen vornehmlich aus den Wirtschaftsverbänden mit harscher Kritik an der vermeintlichen rechtlichen »Fehl«-Entwicklung der Verbandsklagen zu Wort. Angesichts dieser Auseinandersetzung ist es wichtig, immer wieder die rechtspolitischen Erwägungen für die Einführung von Verbandsklagen im Umweltrecht in Erinnerung zu rufen.

In der seit mehr als 40 Jahren geführten Debatte um das Pro und Contra sind für die Notwendigkeit von Verbandsklagen vor allem zwei miteinander zusammenhängende Gesichtspunkte betont worden. Zum einen geht es um die Unterscheidung zwischen einerseits subjektiven Rechten, deren gerichtliche Geltendmachung dem Rechtsinhaber mit der Rechtsweggarantie von Art. 19 IV GG verfassungsrechtlich zugesichert ist, und andererseits »bloß« objektivem Recht, das von der staatlichen Verwaltung zu vollziehen ist, ohne dass einzelne wegen der prinzipiell fehlenden individuellen Rechtsträgerschaft mögliche Rechtsverstöße der Verwaltung gerichtlich geltend machen können. Das gilt namentlich – aber keineswegs nur – im Bereich des Naturschutzrechts, dessen Beachtung bei der Gestattung der oben genannten Großprojekte ein wesentliches Element ist. Diese fehlende gerichtliche Kontrolle des Vollzuges »bloß« objektiven Rechts wurde – zweitens – stets und wird bis heute als eine der Ursachen für vielfältige, in wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellte Vollzugsdefizite im Umweltrecht angesehen (siehe nur SRU, die altruistische Verbandsklage, 2005). Diese Feststellung darf nicht so verstanden werden, als bestünden grundsätzliche Zweifel an einer rechtsstaatlichen Haltung der Exekutive. Insofern ist die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Einhaltung objektiven Rechts ebenso und aus den gleichen Gründen geboten, wie dies verfassungsrechtlich für individuelle Rechte vorgesehen ist (siehe zur komplexen Diskussion umfangreich Koch NVwZ 2007, 369).

In der deutschen Debatte dominierte zunächst eine skeptische Haltung. Immerhin führten einige Bundesländer im Bereich des Naturschutzrechts Verbandsklagemöglichkeiten ein, wobei die klagefähigen Rechtsverstöße eng begrenzt waren. Im Jahre 2002 hat dann die seinerzeitige rot-grüne Koalition eine entsprechende Verbandsklage im BNatSchG verankert. Die eigentliche Wende ist durch die Aarhus-Konvention (AK) eingeleitet worden, ein völkerrechtliches »Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten«, das in Art. 9 AK wichtige Regelungen über einen weiten Zugang der Öffentlichkeit zu gerichtlichen Kontrollen in Umweltangelegenheiten vorsieht (siehe SRU 2005). Zu den Signatarstaaten gehörte nicht nur Deutschland, sondern auch die EU, die umgehend eine Umsetzung des Abkommens vorbereitete: In der Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie (2003/4/EG) finden sich wesentliche Elemente zur Umsetzung des in Art. 9 II AK geregelten weiten Zugangs für die Öffentlichkeit, insbesondere die Verbände, zu Gericht, wobei die wesentlichen Elemente von Art. 9 II AK wortgleich übernommen worden sind (siehe näher SRU 2005). Danach müssen die von den Mitgliedstaaten zu normierenden Klagemöglichkeiten für Verbände »im Einklang mit dem Ziel« stehen, »der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Abkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren«. Die nicht staatlichen Organisationen, insbesondere die Umweltverbände »gelten…als Träger von Rechten, die…verletzt werden können«.

Die schwarz-rote Koalition hat diese Vorgaben für Klagemöglichkeiten der Umweltverbände mit dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) von 2006 umgesetzt, allerdings in europarechtswidriger und völkerrechtswidriger Weise. Das Gesetz hatte Zulässigkeit und Begründetheit von Verbandsklagen unter anderem davon abhängig gemacht, dass ein Verstoß gegen solche Vorschriften des Umweltrechts geltend gemacht wird bzw. vorliegt, die Rechte einzelner begründen. Damit hat der Gesetzgeber – entgegen den Ratschlägen des SRU, 2005, und der seinerzeit im Schrifttum herrschenden Meinung – das vorgegebene Ziel eines weiten Zugangs zu Gericht für Umweltverbände zu gewähren, krass verfehlt. Wie oben aufgezeigt und Jahrzehnte diskutiert soll eine Verbandsklage vor allem – wenn auch nicht ausschließlich – sicherstellen, dass gerade auch Verstöße der Exekutive gegen objektives Recht, das definitionsgemäß keine Rechte einzelner einräumt, einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden können. Um dieses »Wächteramt« der Verbände ging und geht es in der Debatte um Verbandsklagen, aber eben auch in den Regelungen der Aarhus-Konvention und der Beteiligungs-Richtlinie der EU.

Dementsprechend und erwartungsgemäß hat der EuGH in der sogenannten Trianel-Entscheidung auf Vorlage des OVG Münster in einem Klagverfahren des BUND die Europarechtswidrigkeit der restriktiven Regelung der Verbandsklagerechte im UmwRG und die unmittelbare Anwendbarkeit der maßgeblichen Vorschriften der Beteiligungs-Richtlinie festgestellt (EuGH NVwZ 2011, 801). Dementsprechend hat das BVerwG nur wenig später dieKlage eines anerkannten Naturschutzverbandes wegen Verstoßes einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gegen objektives Recht für zulässig erklärt und damit das Umweltrechtsbehelfsgesetz insoweit nicht mehr angewendet (BVerwGE 141, 282). Auch der Gesetzgeber hat nachgebessert: in § 2 I Nr. 1 UmwRG idF v. 21.1.2013 wird nur noch gefordert, dass die Vereinigung geltend macht, »dass eine Entscheidung nach § 1 I 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltrecht dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht«.

Es wird weiterer Nachbesserungen der europäischen und deutschen Verbandsklageregelungen bedürfen. Das zeigt klar die sogenannte Braunbären-Entscheidung des EuGH auf (EuGH NVwZ 2011, 673): zutreffend weist der EuGH darauf hin, dass Art. 9 III AK weitere, über Art. 9 II AK hinausgehende Klagerechte für Verbände verlange (dazu bereits SRU 2005). Art. 9 II AK gewährt Verbandsklagerechte nur für bestimmte,wenngleich sehrwichtige, in Art. 6 AK normierte Verwaltungsentscheidungen, die der IVU-(jetzt IE-)Richtlinie bzw. der UVP-Richtlinie unterliegen. Art. 9 III AK verlangt aber darüber hinaus auch Klagerechte für Verbände, soweit in sonstigen Entscheidungen oder Unterlassungen von Privaten oder Behörden gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen wird. Der EuGH sieht daher nicht nur die EU zu entsprechenden Regelungen verpflichtet, sondern hält einstweilen auch eine völkerrechtskonforme Auslegung der EU-Regelungen über Verbandsklagen auch seitens der Mitgliedstaaten und ihrer Gerichte für geboten.

Der 7. Senat des BVerwG hat der Aufforderung des EuGH nach einer Berücksichtigung des zumEuroparecht gehörigen Gehalts von Art. 9 III AK insofern Rechnung getragen, als er die Klage eines Umweltverbandes gegen einen Luftreinhalteplanmit der Begründung für zulässig erachtet hat, dass § 47 I BImSchG als drittschützende Norm einzelnen Betroffenen eine Klagebefugnis einräume (grundlegend EuGH Slg. 2008, I–6221 zu § 47 II BImSchG aF), die wegen Art. 9 III AK auch den Verbänden eine »prokuratorische« Verbandsklagebefugnis sichere (BVerwGE 147, 312).

Alles in allem hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch die Einhaltung objektiven Rechts im Verwaltungshandeln einer gerichtlichen Überprüfung muss zugeführt werden können. Das diesbezügliche »Wächteramt« anerkannter Umweltverbände hat völkerrechtliche und europarechtliche Anerkennung gefunden, der deutsche Gesetzgeber hat sich im »Kampf ums Recht« erst mit internationaler (Nach-)Hilfe gegen die gegenläufigen Forderungen derWirtschaftsverbände durchsetzen können und wird dies auch mit Blick auf Art. 9 III AK zukünftig tun müssen.

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