No business as usual – Die neue Normalität für Familienunternehmen
Von
Dr. Mansur Pour Rafsendjani | Apr 25, 2022
Ich erinnere mich heute noch sehr gut an ein Gespräch mit meinem leider verstorbenen Senior Partner Rudolf Nörr im Jahr 2009. Ich war seinerzeit Leiter des von unserer Sozietät bis ins Jahr 2013 betriebenen Büros in Kiew und Rudolf Nörr fragte mich, ob ich eine Spaltung in der Ukraine für möglich halte. Ich verneinte dies und wies auf die Schweiz hin, wo Menschen nebeneinander leben, obwohl sie drei verschiedene Sprachen sprechen. Unter normalen Umständen sollte es nicht zur Trennung zwischen den Ukrainern im Westen und den russischsprachigen Ukrainern im Osten kommen. Der am 24.2.2022 von Putin und seiner Clique begonnene Angriffskrieg auf die Ukraine könnte nun tatsächlich zu dem damals von Rudolf Nörr befürchteten Szenario führen.
Dieser Krieg hat unbestreitbar Auswirkungen auf die deutschen Familienunternehmen und stellt sie vor mannigfaltige Herausforderungen. Zieht man sich aus dem Russland-Geschäft vollständig zurück oder sieht man nur von weiteren Investitionen ab? Wie umgehen mit dem öffentlichen Druck, die Geschäfte schnellstmöglich zu beenden? Was soll mit den Tochtergesellschaften in Russland und/oder der Ukraine passieren? Was passiert mit den Mitarbeitern vor Ort? Wie soll mit Beteiligungen oder Joint Ventures in Russland umgegangen werden? Droht Enteignung? Auf der EU- und US-Sanktionsliste befinden sich russische Oligarchen, die über Venture Capital-Fonds in durchaus interessanten Start-ups investiert sind – wie geht man damit um, wenn man Co-Investor ist? Sollen oder müssen bestehende Lieferverträge erfüllt werden, auch wenn das Geschäft nicht von den Sanktionen betroffen ist? Wer hätte je gedacht, dass die in Verträgen standardmäßig enthaltenen Force Majeure- oder Hardship-Klauseln durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine derart an Bedeutung gewinnen würden?
Familienunternehmen müssen sich auf drastisch gestiegene Rohstoff- und Energiekosten, eine gestiegene Gefahr von Cyber-Attacken und erheblich gestörte Lieferketten einstellen und die eigene Globalisierungs- und Lieferkettenstrategie auf den Prüfstand stellen.
Hinzu kommen neue regulatorische Anforderungen. Ab dem 1.1.2023 tritt das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft, das von den Unternehmen verlangt, sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch entlang der Lieferkette Menschenrechts- und Umweltrisiken zu prüfen und bei erkannten Risiken oder Verstößen aktiv zu werden. Erstmals gibt ein deutsches Gesetz nicht nur vor, dass eine Compliance-Organisation einzurichten ist, sondern auch wie das Compliance-System im Hinblick auf die Lieferkette auszugestalten ist. Es bestehen umfangreiche Sorgfalts- und Berichtspflichten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) überwacht die Einhaltung und darf drastische Zwangs- und Bußgelder verhängen. Torsten Safarik, Präsident der BAFA, hat angekündigt, dass die hierfür vorgesehenen Zweigstellen in Borna und Merseburg pünktlich bereit sein werden.
Zwar gilt dieses Gesetz seinem Wortlaut nach nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in Deutschland (ab 1.1.2024 wird diese Schwelle gesenkt auf 1.000 Mitarbeiter). Indessen werden auch viele mittelständische Unternehmen betroffen sein. Große Unternehmen, die bereits vor Jahren damit begonnen haben, auf freiwilliger Basis ihre Lieferkette auf Menschenrechts- und Umweltrisiken zu prüfen, sind nunmehr von Gesetzes wegen verpflichtet, ihre unmittelbaren Lieferanten durch eine geeignete vertragliche Gestaltung (Vertragskaskade) in die Pflicht zu nehmen. Viele Zulieferer haben bereits Fragebögen erhalten und drohen als ungeeignet eingestuft zu werden, wenn die vom LkSG definierten Menschrechts- und Umweltvorgaben nicht eingehalten werden.
Es ist zudem damit zu rechnen, dass in Zukunft noch strengere Regeln gelten werden. Der am 23.2.2022 von der Europäischen Kommission vorgestellte Richtlinienentwurf enthält gravierende Verschärfungen. Danach werden bereits kleinere Unternehmen ab 500 Mitarbeitern und einem weltweiten Jahresumsatz von 150 Mio. EUR sowie Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und einem weltweiten Umsatz von 40 Mio. EUR in besonders gefährdeten und ressourcenintensiven Bereichen in die Pflicht genommen werden. Zudem sieht das Gesetz eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen und Management vor. NGOs wie Germanwatch, Oxfam oder Amnesty International werden berechtigt sein, vor Gerichten in Deutschland im Wege der Prozessstandschaft Ansprüche Betroffener geltend zu machen. Es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Menschenrechts- und Umweltklagen steigen werden.
Familienunternehmen in Deutschland und auch in anderen Ländern Europas haben nun große Herausforderungen zu meistern. Ein Business as usual wird es vorerst nicht mehr geben. Familienunternehmen haben andererseits mit ihrer starken Werteprägung und großen Anpassungsfähigkeit die DNA, sich auf solche Herausforderungen einzustellen. Es gilt aus der Not eine Tugend zu machen und noch stärker als bisher das Einstehen für eine gesunde Umwelt und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zum Ausdruck zu bringen. In Frankreich hat sich dazu der Begriff der Sociéte de Mission etabliert. Künftige Toptalente, aber auch Investoren und Kunden werden ihre Entscheidung auch daran ausrichten, ob Familienunternehmen hier richtig aufgestellt sind, und möglicherweise auch daran, wie Familienunternehmen mit geschäftlichen Beziehungen nach Russland oder in die Ukraine auf den Krieg und die damit verbundenen Herausforderungen reagiert haben.