Intra- und Interdisziplinarität des „Rechts der Familienunternehmen“
Von Prof. Dr. Marco Staake, Bergische Universität Wuppertal, Schriftleiter und Mitherausgeber der RFamU
Der Titel dieser Zeitschrift ist Programm: In der RFamU dreht sich alles um das „Recht der Familienunternehmen“. Was aber hat es mit dieser Bezeichnung auf sich? Handelt es sich um ein eigenständiges, in sich abgeschlossenes Rechtsgebiet, um ein Sonderrecht für Familienunternehmen? Geht es bei der RFamU also auch darum, einen Beitrag zur Etablierung eines solchen Sonderrechts zu leisten?
Diese Fragen lassen sich mit Blick auf die realen Erscheinungsformen von Familienunternehmen beantworten. Es gibt weder einen Urtypus des Familienunternehmens noch in der Praxis ganz vorherrschende Rechts- und Gestaltungsformen. Jedes Familienunternehmen ist anders – in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht. Vom kleinen Betrieb, der von Generation zu Generation „weitergegeben“ worden ist, bis hin zu Publikums-Familiengesellschaften mit einem weitverzweigten Gesellschafterkreis und nur noch losen familiären Bindungen, erfasst der Begriff „Familienunternehmen“ eine Vielzahl verschiedener Unternehmen.
Diese Mannigfaltigkeit der Familienunternehmen macht eine klar umrissene Begriffsbestimmung schwierig. Es mangelt zwar nicht an Vorschlägen für eine Definition, doch sind diese sehr sperrig und wenig intuitiv. Die Herausarbeitung eines festen Katalogs von Kriterien, die ein Unternehmen erfüllen muss, um als Familienunternehmen zu gelten, mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen. Bei näherem Besehen zeigt sich aber, dass viele „typische“ Familienunternehmen nicht sämtliche der für notwendig erachteten Kriterien erfüllen. Sinnvoller erscheint eine typologische Betrachtung, bei der zwar auch Kriterien aufgestellt werden, denen aber keine selektierende, sondern eine zuvörderst beschreibende Funktion zukommt. So verstanden ist der Begriff „Familienunternehmen“ ein Typusbegriff mit unscharfen Rändern. Es überrascht daher nicht, dass das Gesetz keine Rechtspflichten oder sonstige Rechtsfolgen an den Begriff „Familienunternehmen“ knüpft. Lediglich in § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 DrittelbG ist von „Familiengesellschaften“ die Rede, doch ist die Strahlkraft dieser Vorschrift gering – und Kriterien zur Begriffsbestimmung liefert das Gesetz auch hier nicht.
Der Begriff „Familienunternehmen“ ist also kein Legalbegriff. Über eine sinnvolle Begriffsbestimmung – sei es zur festen Abgrenzung oder zur typologischen Beschreibung – kann trefflich gestritten werden. Als Anknüpfungspunkt für die Etablierung eines Sonderrechts dient der Begriff jedenfalls nicht. Ein solches Sonderrecht könnte der beschriebenen Verschiedenartigkeit der Familienunternehmen ohnehin nicht gerecht werden.
Sollte daher die Formulierung „Recht der Familienunternehmen“ aufgegeben und die RFamU möglichst schnell umbenannt werden? Natürlich nicht! Die Absage an ein Sonderrecht bedeutet nämlich nicht, dass es keine rechtlichen Besonderheiten gibt, die sich im Kontext von Familienunternehmen stellen. Das Gegenteil ist der Fall. Für Familienunternehmen gelten im Ausgangspunkt die „allgemeinen“ Regeln – also die Vorschriften verschiedener Rechtsgebiete, die auch Recht der Familienunternehmen RFamU 5/2022 193 für andere Rechts- und Wirtschaftssubjekte gelten. Aus der besonderen Verknüpfung von „Familien“ und „Unternehmen“ resultieren aber eine Vielzahl spezifischer Probleme, die es zu lösen gilt. Dabei sind sowohl intra- also auch interdisziplinäre Aspekte bedeutsam.
Die Notwendigkeit eines intradisziplinären Ansatzes ergibt sich aus der Verschiedenartigkeit der Rechtsgebiete, die bei Rechtsfragen im Zusammenhang mit Familienunternehmen berührt werden. Holger Fleischer (ZIP 2006, 451 (456)) hat – zwar in einem anderen Kontext, aber doch verallgemeinerungsfähig – sehr treffend formuliert: „Wo immer sich zwei Rechtsgebiete überlappen, gibt es Regelungsredundanzen, Zieldivergenzen, Funktionsäquivalenzen, Norminterdependenzen, Mitwirkungsingerenzen und Wertungsinterferenzen, in einem Wort: Abstimmungsbedarf.“ Diesen Abstimmungsbedarf aufzuzeigen, aber auch Lösungsansätze und Gestaltungsmöglichkeiten darzustellen, ist die Hauptaufgabe des „Rechts der Familienunternehmen“. Die Arbeit, die hier zu leisten ist, ist in erster Linie rechtsdogmatischer Natur.
Stößt die Rechtsdogmatik an ihre Grenzen, können rechtspolitische Forderungen erhoben werden. Empirische Forschung kann Argumente für (oder gegen) rechtspolitische Forderungen liefern. Auch hier soll die RFamU einen Beitrag leisten, indem Forschungsergebnisse vorgestellt und so zur Diskussion gestellt werden können (vgl. Schlömer-Laufen/Fels/Suprinovič RFamU 2022, 74 ff.; Richter/Junginger/Stille RFamU 2022, 170 ff.).
Allein mit den Mitteln der Rechtsdogmatik, der Kenntnis der einschlägigen Normen und Entscheidungen sowie dem juristischen Handwerkszeug wird man die Herausforderungen, die die Beratung von Familienunternehmen in der Praxis mit sich bringt, oft nicht bewältigen können. Es gilt, die besondere Binnenstruktur der jeweiligen Gesellschaft zu verstehen, Interessenlagen zu analysieren, Konfliktpotentiale zu antizipieren, Entscheidungen und Denkmuster der Beteiligten zu verstehen. Andere Wissenschaften können hierfür wertvolle Beiträge liefern, etwa wenn es um das Verständnis von Entscheidungsprozessen, um Konfliktvermeidung und -lösung oder um den Aufbau sachgerechter Corporate-Governance-Strukturen, Risikomanagement-, Kontroll- und Compliance-Systeme geht.
Das „Recht der Familienunternehmen“ sollte daher Forschungsansätze insbes. aus der Psychologie und der Ökonomie zur Kenntnis nehmen und für die Rechtsberatung fruchtbar machen. Der interdisziplinäre Blick über den juristischen Tellerrand lohnt sich, wie der Beitrag von Hermut Kormann und Sophia Hegmann zu „Entscheidungen bei Unsicherheit und Gefährdungen“ in diesem Heft (RFamU 2022, 193 ff.) eindrücklich belegt. Das „Recht der Familienunternehmen“ ist eine herausfordernde, aber auch spannende Materie. Die Verschränkung verschiedener Rechtsgebiete erfordert eine intradisziplinäre Vorgehensweise. Interdisziplinäre Ansätze helfen, das Neben- und manchmal auch Gegeneinander von divergierenden Interessenlagen, Motiven und Entscheidungsparametern, von ökonomischer Rationalität und familiärer Emotionalität zu bewältigen. Es gilt also, innerhalb eines komplexen rechtlichen Rahmens, zugleich aber auch „outside the box“ zu denken. Die Dimensionen des „Rechts der Familienunternehmen“ sind längst noch nicht vollständig erfasst. Es bleibt viel zu tun.