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Der Familienunternehmen-Test

Von Prof. Dr. Marco Staake, Bergische Universität Wuppertal, Schriftleiter und Mitherausgeber der RFamU
Gesetzesänderungen im Unternehmens- und Steuerrecht gehen häufig mit der Schaffung neuer Pflichten einher, die Familienunternehmen in besonderem Maße treffen. Dabei liefern Familienunternehmen – trotz ihrer enormen volkswirtschaftlichen Bedeutung – regelmäßig nicht den Anlass für das Tätigwerden des Gesetzgebers. Ihre Betroffenheit von Neuregelungen ist oft nur ein Kollateralschaden bei der legislativen Bekämpfung von Missständen. Die spezifischen Aspekte von Familienunternehmen und daraus resultierend auch die besonderen Auswirkungen von gesetzlichen Neuerungen werden vom Gesetzgeber bislang kaum beachtet. Bisweilen finden Familienunternehmen und ihre Interessenvertreter zwar noch in laufenden Gesetzgebungsverfahren Gehör, jüngst etwa mit der Kritik am Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes. Doch häufig kommt die Kritik zu spät oder sie geht im vielstimmigen Chor der Kritiker und Befürworter geplanter Maßnahmen unter. Wünschenswert ist es daher, dass der Gesetzgeber die Auswirkungen geplanter Gesetzesänderungen auf Familienunternehmen frühzeitig in den Blick nimmt.
Der Gedanke, bei der Abschätzung der Gesetzesfolgen bestimmte Unternehmen in den Blick zu nehmen, ist nicht neu (vgl. etwa § 44 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 GGO). Ein systematisches Verfahren zur Berücksichtigung der Belange kleinerer und mittelständiger Unternehmen (sog. KMU-Test) ist auf nationaler Ebene bereits etabliert. Hierfür gibt es einen von der Bundesregierung, dem Nationalem Normenkontrollrat und dem Statistischen Bundesamt entwickelten „Leitfaden“. Auf europäischer Ebene beinhaltet die Better regulation toolbox einen SME-Test (Tool #22), der auf die Politik der EU-Kommission für small and medium-sized enterprises Bezug nimmt. Konkret heißt es: „SME’s interests should be taken into account at a very early stage of policymaking in order to make legislation more SME friendly.“ Sowohl der KMU- als auch der SME-Test sind aber nicht spezifisch auf Familienunternehmen ausgerichtet, sondern knüpfen allein an die Unternehmensgröße an. Zudem zielt insbes. der KMU-Test lediglich auf die Erfassung und Minimierung des besonderen Erfüllungsaufwands ab, den die Unternehmen infolge einer Regulierung bewältigen müssten. Die Charakteristika von Familienunternehmen spielen bei beiden Tests keine Rolle.

Einen bemerkenswerten Vorschlag für eine institutionalisierte Berücksichtigung von Familienunternehmen im europäischen und nationalen Gesetzgebungsverfahren hat Mathias Habersack in seiner 2020 von der Stiftung Familienunternehmen herausgegebenen Studie „Gesetzesfolgen für Familienunternehmen abschätzen“ unterbreitet: den Familienunternehmen-Test.

Habersack betont, dass es beim Familienunternehmen-Test nicht darum gehen soll, Familienunternehmen generell zu privilegieren. Vielmehr sollen die gesetzgeberische „Awareness-Lücke“ geschlossen und Gesetzesfolgen transparent gemacht werden. Anders formuliert: Es geht darum, das Bewusstsein des deutschen und europäischen Gesetzgebers für die Besonderheiten von Familienunternehmen zu schärfen und unbeabsichtigte negative Effekte geplanter Regelungen zu vermeiden. Der Familienunternehmen-Test soll dabei an den spezifischen Strukturmerkmalen Recht der Familienunternehmen RFamU 6/2022 249 von Familienunternehmen ausgerichtet werden: dem generationenübergreifenden Charakter des Unternehmens, den Besonderheiten der Unternehmensfinanzierung und dem quasi-treuhänderischen Halten der Beteiligung.

Auf nationaler Gesetzgebungsebene plädiert Habersack für die Schaffung eines „Leitfadens zur Berücksichtigung der Belange von Familienunternehmen in der Gesetzesfolgenabschätzung“, der neben den Leitfaden zum KMU-Test treten soll. Geplante Regelungen sollen dabei auf eine spezifische Betroffenheit von Familienunternehmen hin überprüft werden und zwar insbes. im Hinblick auf (1.) die Corporate Governance der Gesellschaft, (2.) die Generationenfolge, (3.) eine etwaige Fremdverwaltung der Anteile, (4.) die Publizität von Unternehmenskennzahlen und sonstige Informationen, (5.) die Finanzierung des Unternehmens sowie (6.) die Mobilität der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter. Soweit eine spezifische Betroffenheit festzustellen ist, sollen die beteiligten Bundesministerien auf diese hinweisen und gemeinsam Maßnahmen zur strukturellen Gleichbehandlung von Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen erörtern, wobei etwa Ausnahmeregeln, Befreiungstatbestände und Übergangsfristen angedacht werden könne.

Für die europäische Ebene schlägt Habersack die Aufnahme des Familienunternehmen-Tests in die toolbox vor. In Anlehnung an den SME-Test soll die Prüfung auf vier Stufen stattfinden. Auf erster Stufe soll die spezifische Betroffenheit von Familienunternehmen festzustellen sein. Ergibt die Prüfung zumindest die Möglichkeit einer solchen Betroffenheit, soll auf zweiter Stufe eine Konsultationsphase eingeleitet werden, in der neben den bereits vorgesehenen Mechanismen der Konsultation auch gezielte Befragungen (etwa in „Round table“-Veranstaltungen) vorgenommen werden können. Auf dritter Stufe soll eine Evaluation der Ergebnisse erfolgen, wobei die Auswirkungen der geplanten Regelung auf Familienunternehmen beurteilt und mit den Auswirkungen für Nicht-Familienunternehmen verglichen werden sollen. Auf vierter Stufe soll schließlich nach Regelungsalternativen gesucht werden, um negative Auswirkungen für Familienunternehmen abzumildern.

Habersacks Vorschlag verdient Beachtung. Eine institutionalisierte Berücksichtigung von Familienunternehmen bei der Gesetzesfolgenabschätzung ist dringend geboten. Hierdurch können einerseits unerwünschte Auswirkungen auf Familienunternehmen und damit auch auf die Volkswirtschaft vermieden werden. Andererseits erhöht sich die Akzeptanz auch nachteiliger Regelungen, die den Familienunternehmen-Test durchlaufen haben. Es geht – dies gilt es nochmals zu betonen – nicht darum, Familienunternehmen zu begünstigen, sondern um die Vermeidung von (unerwünschten) Nachteilen und einer Schlechterstellung gegenüber Nicht-Familienunternehmen. Der Familienunternehmen-Test kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten.
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