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KI in der Kanzlei

Von Dr. Frederik Leenen, Partner und Head of Legal Tech bei CMS
Alle Welt redet gerade über ChatGPT. Dabei sind andere KI-Tools in Anwaltskanzleien schon längst im Einsatz. Hierzu Fragen an Dr. Frederik Leenen, Partner und Head of Legal Tech bei CMS.

RDi: Welche KI-Anwendungen nutzt CMS in der anwaltlichen Arbeit und wofür werden sie eingesetzt?

Leenen: Wir nutzen seit der ersten AI-Welle 2016 Kira. Das ist an sich ein Tool von der Stange, das vektorenbasierte maschinenlernende Algorithmen verwendet, um Textstellen zu identifizieren. Das setzen wir vor allem bei Real-Estate-Transaktionen ein, um Due-Diligence-Prozesse zu unterstützen. Es ist aber ein reines Assistenz Tool, weil es bei weitem nicht unfehlbar ist. Man kann sich damit gleichsam eine zweite Meinung einholen, man sucht und findet vielleicht etwas schneller und leichter, aber es bleibt bei der ergebnisverantwortlichen menschlichen Prüfung. Wir haben aber auch ein Assistenzsystem gebaut, bei dem Mitarbeiter im Unternehmen durch einen Fragenkatalog hindurchgeführt werden und das mit AI dabei hilft, möglichst schnell alle jeweils relevanten Stellen im Vertrag zu sichten. Hierfür haben wir uns mit Legartis zusammengetan. Nach dieser ersten Welle kommt jetzt seit etwa einem halben Jahr die zweite auf uns zu, weil sich durch große Sprachmodelle wieder relativ viel getan hat und die Ergebnisse jetzt auch für die Juristerei so beachtlich sind, dass man sich das neu angucken muss.

RDi: Inwiefern und in welchem Umfang entlasten sie Anwälte und Mitarbeiter oder sparen Kosten für externe Dienstleister?

Leenen: Das ist bisher bei der ersten Welle ein Mix aus drei verschiedenen Dingen. Diese KI bringt eine Qualitätsverbesserung, weil neben dem Anwalt, der spätabends im Datenraum sitzt und immer müder wird, eine unermüdliche Maschine mit am Werk ist. Ein weiterer Aspekt ist Zeitersparnis. Weniger weil die KI – typischerweise überinklusiv – Informationen highlightet, sondern vor allem weil sie umgekehrt mit großer Sicherheit ausschließen kann, dass etwas überhaupt relevant ist. Und ein dritter Punkt ist, dass diese Tools gute Projektmanagement-Werkzeuge sind, mit denen man insgesamt schneller arbeitet.

RDi: Gibt es besondere rechtliche Herausforderungen beim Einsatz von KI in der Kanzlei? 

Leenen: Die drei wichtigsten und häufigsten Aspekte rund um KI sind einmal der Datenschutz, in dem Informationssicherheit eine große Rolle spielt. Noch anspruchsvoller ist das Berufsrecht mit dem Anknüpfungspunkt des Mandatsgeheimnisses, das zu wahren ist. Der dritte Punkt, der auch häufig unterschätzt wird, ist die anwaltliche Dokumentationspflicht, die den Tools umfassende Exportmöglichkeiten abverlangt, die sie nicht bieten. Hinzu kommt bald die EU-KI–Verordnung. Manche Instrumente kann man daher nicht in der Cloud betreiben, sondern nur in einer kanzleieigenen IT-Infrastruktur. Aber das ist teuer und Anbieter bieten es zunehmend nicht mehr an, so dass sich diese Fragen zuspitzen werden.

RDi: Ihre Einschätzung zu ChatGPT: Wann wird die Software oder ein Konkurrenzprodukt (etwa Bard)

in Anwaltskanzleien einsatzfähig sein?

Leenen: Das wird davon abhängen, wie man die vorgenannte Regulierung einhalten kann. Stand jetzt ist GPT 3.5 im Mandat nur sehr begrenzt legal einsatzfähig. Aber das muss nicht so bleiben, weshalb sich einige Kanzleien genau angucken werden, wie man das Tool nutzen kann, immerhin hat es großes Potenzial, auch die anwaltliche Arbeit zu unterstützen. Wie schnell das passieren wird, hängt davon ab, unter welchen Bedingungen und in welchen Umgebungen es bereitgestellt wird. Und dann wird es Abstufungen bei den Inhalten geben, die man hineingibt. Eine anonymisierte Klausel kann eher genutzt werden als ein ganzer Vertrag, aus dem sich diverse Umstände ergeben, die auf Mandanten schließen lassen und der viel Know-how preisgibt.

RDi: Wird KI das Geschäftsmodell von Kanzleien grundlegend verändern?

Leenen: Ja, das wird jedenfalls indirekt irgendwann der Fall sein. ChatGPT und seine Konkurrenzprodukte machen nämlich zunehmend den Einsatz und die Anleitung von Hilfskräften ersetzbar. Das wird sich in ganz vielen Bereichen bemerkbar machen und schon allein der damit verbundene gesellschaftliche Wandel wird indirekt das anwaltliche Geschäftsmodell verändern. Und dann werden Menschen erstaunt feststellen, dass man einen „alltäglichen kleinen Rechtsrat“ auch halbwegs verlässlich, aber viel schneller und billiger durch KI erhalten kann. Das werden so manche Anwälte spüren. Davon, dass die High-End-Beratung in Großkanzleien komplett ersetzt wird, gehe ich zwar noch für eine ganze Weile nicht aus. Aber der Markt wird verengt und ein Vollprofi, der früher eine Vielzahl von Mitarbeitern hatte, wird zukünftig nur noch einen kleinen Stab brauchen.

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