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Digitalität und Interdisziplinarität

Von Prof. Dr. Petra Gehring, Professorin für Philosophie an der TU Darmstadt und Leiterin des im Land Hessen 2019 eingerichteten Zentrums Verantwortungsbewusste Digitalisierung
Der digitale Wandel gleicht einem seismischen Phänomen: Er schafft Umbrüche, die quer zu den Grenzen von Rechtsgebieten verlaufen. Aus gutem Grund wählt die RDi daher einen themenbezogenen Zugang zur ganzen Breite des Rechts im digitalen Feld.
RDi_Editorial_Petra_GehringWas aber ist mit den Grenzen des Rechts selbst? Tatsächlich würfelt die Digitalisierung auch Fach- und Professionsperspektiven durcheinander. Dass Digitalrecht digitaltechnisches Wissen erfordert, ist naheliegend. Aber auch die wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftliche Beobachtung des digitalen Alltags-im-Wandel sowie der weite Bereich der politischen und der „ethisch“ genannten Fragen sind juristisch von Belang. Das zeigt auch die Praxis: Oft spielt gerade im Dreieck zwischen technischen Standards, ‚weichen‘ Normen und ‚hartem‘ Recht für eine gute Steuerung digitaler Innovationen die Musik.

Digitalität ruft nach Interdisziplinarität? Ich denke ja. Und das ist nicht nur ein Faktum, sondern für alle Beteiligten eine Chance. Viele Problemstellungen fortgeschrittener Digitalität gewinnen durch interdisziplinäre Betrachtung – und gern auch Diskussionen – die Tiefenschärfe, die sie verdienen. Namentlich die Expertinnen und Experten für die normativen Perspektiven, also Recht, Politik, Ethik oder auch – Achtung, Neuland! – Expertinnen und Experten für eine integrierte Betrachtung von so etwas wie einer „technisierten“ Normativität können durch Kooperation nur gewinnen.

Das I-Wort hat freilich Patina. Als Programm stammt „Interdisziplinarität“ aus der Industrieforschung. Ab den 1970 er Jahren hat es die Universitäten verändert, ist in der Wissenschaft der 2000 er Jahre vielfach zur Worthülse verkommen. Vom „Team“ über „Co Working-Spaces“ und „Labs“ werden interdisziplinäre Vorgehensweisen gleichwohl immer wieder neu entdeckt. Das kommt nicht von ungefähr. Denn Disziplinen stabilisieren Wissen, sie engen aber auch ein. Digitalisierung fordert von daher auch die Wissensordnungen heraus.

Das Land Hessen hat 2019 ein Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung geschaffen, das dieser Maxime folgt. Es bündelt die geistes- und sozialwissenschaftliche Expertise der hessischen Hochschulen zu normativen Fragestellungen rund um Digitalisierung. Das Zentrum schafft temporäre Think Tanks zu Themen wie Datensouveränität, Verantwortungsdiffusion oder Datentreuhänderschaft.

Die Rechtswissenschaften wie auch Fragen, welche die juristische Praxis bewegen, spielen in der gemeinsamen Arbeit eine Schlüsselrolle. Zugleich aber zählen die Dialoge mit Philosophie, Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Politik und sogar Theologie. Dazu sind Kolleginnen und Kollegen aus der Informatik mit an Bord. Die oben „seismisch“ genannten Umbrüche des digitalen Wandels verschränken Recht und Nicht-Recht miteinander. Das macht interdisziplinäres Nachdenken interessant, und zwar nicht im Sinne einer alten Parole, sondern auf neue und pointierte Weise. Wenn Digitalität, um im Bild zu bleiben, einer Erdbebenzone gleicht, bedarf es einer flexiblen, aber auch mehrdimensionalen Aufmerksamkeit auf buchstäblich (fast) alles zugleich. Was schärft sonst die Qualität der Antworten, die wir auf die Herausforderungen des digitalen Wandels geben?

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