CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
jaheader_neu

7. Leipziger Insolvenzsteuerrechtstag (LIST), 01.03.2022, hybrid - NZI 08/2022

RAin Dr. Anne Deike Riewe, München
Der 7. LIST fand traditionell am Faschingsdienstag und ebenso wie der am Vortag durchgeführte LIT in diesem Jahr im hybriden Format mit Teilnehmern vor Ort im Leipziger Kubus wie auch digital zugeschaltet statt. Die Begrüßung und Einführung übernahm Prof. Dr. Marc Desens.
Fiskusprivilegien – ein internationaler Vergleich

Im ersten Vortrag stellte Dr. Deborah Fries die von ihr vorgenommene rechtsvergleichende Untersuchung zum Bestehen und der Ausgestaltung von Fiskusprivilegien in Deutschland, Frankreich, Australien sowie den USA vor. Fries grenzte zunächst Fiskusprivilegien von weiteren Vorteilen des Fiskus im Insolvenzverfahren ab, die sich etwa aus der Möglichkeit der Selbsttitulierung als Ausfluss eines Vertrauensvorsprungs der Verwaltung oder aus steuersystemimmanenten Besonderheiten wie dem Reverse-Charge-Verfahren ergeben. Als Fiskusprivilegien im engeren Sinne kämen etwa Treuhandkonstruktionen wie die in den USA vorgesehene Verwaltung von withholding taxes in einem trust in Betracht. Im deutschen Recht sei dagegen weder für die Lohn- noch für die Umsatzsteuer eine Treuhandstellung geregelt. Neben solchen vorinsolvenzlich erworbenen, insolvenzfesten Rechtspositionen könnten dem Fiskus Sonderrechte im Verfahren eingeräumt werden. Vorrechte im Rahmen eines Privilegienkatalogs gebe es etwa in den USA, während Australien zwar einen Privilegienkatalog kenne, der aber den Fiskus nicht erfasse. Ein Beispiel für eine (systemwidrige) Einordnung von Steuerforderungen als Masseforderungen stelle etwa der deutsche § 55 IV InsO dar, hierunter könnten aber auch Tendenzen in der Rechtsprechung wie die Doppelberichtigungsrechtsprechung gefasst werden. Schließlich kämen Ausnahmen im Anfechtungsrecht oder bei der Ermöglichung von Aufrechnungen in Betracht. Beispielsweise würden in Australien Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Finanzverwaltung in der Rechtsprechung als unanfechtbar beurteilt. Fries verwies darüber hinaus auf anstelle erklärter Privilegien gewählte andere Mittel und Wege, um den Fiskus „doch besser da stehen zu lassen“. Dies geschehe etwa durch die steuerliche Geschäftsleiterhaftung, die sich in Deutschland aus §§ 69, 34 I AO, 15b VIII InsO ergebe. In Australien stelle das director penalty regime einen gezielten Ersatz für eine Fiskusprivilegierung im Verfahren mit dem Ziel dar, die Geschäftsführung zu einer frühzeitigen Antragstellung anzuhalten.

Als Ergebnis ihrer Untersuchung hob Fries hervor, dass ausdrückliche Fiskusprivilegien im Insolvenzrecht sowohl in Rechtsordnungen des Common Law wie des Civil Law teilweise existierten und teilweise abgelehnt würden. Tendenziell keine Sonderbehandlung des Fiskus gebe es dabei im Rahmen gläubigerfreundlicher Ausgestaltungen des Insolvenzrechts, wobei der Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz in den Vordergrund gestellt werde. Rechtsordnungen mit einem schuldnerfreundlichen Insolvenzrecht wie die USA oder Frankreich ließen demgegenüber eine Sonderbehandlung des Fiskus zu. Im Rahmen einer ökonomischen Analyse könnten Privilegien einerseits Anreize setzen, sich andererseits aber auch als Störfaktor erweisen. Im Grundsatz habe der Fiskus das Ausfallrisiko des Steuerschuldners zu tragen. Daraus ergebe sich eine im Steuerrecht verankerte Möglichkeit der Absicherung von Forderungen durch eine Verlagerung der Steuerschuldnerschaft.

Die anschließende Diskussion drehte sich insbesondere um die Frage, inwieweit eine Orientierung an der australischen Ausgestaltung der Geschäftsführerhaftung eine sinnvolle Weiterentwicklung des deutschen Systems darstellen könnte. Gefragt wurde hierzu nach empirischen Erkenntnissen zu den Wirkungen in Australien, wozu Fries nach eigenen Angaben im Rahmen ihrer Untersuchung nichts bekannt geworden ist. Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, dass in Deutschland in der Vergangenheit durchaus Liquiditätsprüfungen bei Unternehmen durch die Finanzverwaltung vorgenommen worden seien. Allerdings seien hieraus in der Regel keine Konsequenzen erwachsen, vielmehr anschließend Mahnungen und Vollstreckungen schlicht fortgesetzt worden. Mit Blick auf die Stellung des Fiskus in Restrukturierungsverfahren erklärte Desens, dass angesichts des grundsätzlichen Verzichtsverbotes eine gesetzliche Flankierung für die Mitwirkung des Fiskus im Rahmen des StaRUG zu erwarten gewesen wäre.

Pflichten des Steuerberaters und des Abschlussprüfers in der Krise

Der zweite Vortragsblock war den aus der Rechtsprechung und der erfolgten Kodifizierung abzuleitenden Pflichten des Steuerberaters und des Abschlussprüfers gewidmet. Prof. Dr. Michael Fischer verwies einleitend auf den Fall Wirecard, wo es eine Nichtigkeitsklage bereits gegen den Jahresabschluss 2007 gegeben habe. Solche Beispiele weckten die Frage nach einem Systemversagen.

Die zur Beurteilung einer etwaigen Verletzung maßgeblicher Pflichten ergäben sich für die Abschlussprüfung aus HGB und Berufsrecht. Fischer betonte, dass den Prüfungsstandards keine Rechtsnormqualität zukomme. Für den Prüfer bestehe bei getroffenen Feststellungen zunächst die Pflicht, intern zu warnen. Soweit im Außenverhältnis eine Ergänzung des Bestätigungsvermerks vorgenommen werden müsse, bestehe in der Realität das Risiko, dass aus dieser „Alarmglocke“ eine „Totenglocke“ werde. Dies habe der Gesetzgeber allerdings so nicht gesehen.

Der Pflichtenkreis des Steuerberaters ergebe sich abweichend aus dem Mandat auf vertragsrechtlicher Grundlage. Dies beinhalte die Möglichkeit eines „beschränkten Mandats“. Eine Beschränkung könne es aber nicht hinsichtlich der Mitteilung zutreffender Tatsachen geben. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Steuerberater gerade in Dauermandaten typischerweise den besten Durchblick in das Unternehmen habe. Noch abzuwarten sei die weitere Entwicklung der Rechtsprechung insbesondere zum Mitverschuldenseinwand. Dieser werde etwa in Österreich nicht zugelassen, während in Deutschland bislang von der Rechtsprechung bei bloßer Fahrlässigkeit des Steuerberaters und Vorsatz des Geschäftsführers noch eine vollständige Haftungsfreistellung angenommen wurde.

Im Rahmen der Erstellung und Prüfung von Jahresabschlüssen sei die Vermutung für die Unternehmensfortführung zu Grunde zu legen. Dabei liege die Latte für das Entfallen der Vermutung grundsätzlich hoch. Hierzu sei eine Prognoseentscheidung erforderlich. Werde dem Steuerberater eine explizite Fortführungsprognose vorgelegt, könne er diese zunächst zugrunde legen, müsse aber möglichen Zweifeln nachgehen. Eine erteilte Weisung zur Verwendung einer Planung trotz bestehender Zweifel könne allenfalls im Innenverhältnis zum Mandanten entlastend wirken.

Skeptisch zeigte sich Fischer zur Würdigung in der Gesetzesbegründung zu § 102 StaRUG, dass mit der Norm keine Erweiterung des Pflichtenkreises verbunden sei. Tatsächlich bestehe hier nun eine Hinweispflicht auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit, was eine ganz andere Dimension darstelle als das zuvor nach der Rechtsprechung Verlangte.
 
Masseverbindlichkeiten – Steuerrecht

Einen Schwerpunkt der Veranstaltung mit einem Haupt- und zwei Ko-Referaten sowie anschließender Diskussion bildete abschließend die Einordnung von Steuerforderungen als Masseverbindlichkeiten.

Anknüpfend an seinen Vortrag beim vorangehenden LIT stellte VorsRiOLG Dr. Dietmar Onusseit zunächst noch einmal Grundlagen der Einordnung von Forderungen als Masseverbindlichkeiten dar.

Beispielhaft für die Einordnung von Steuerforderungen ging Onusseit einleitend auf die Kraftfahrzeugsteuer (KraftSt) ein und setzte sich dabei intensiv und kritisch mit dem Urteil das BFH vom 21.03.2019 (NZI 2020, 82) auseinander. Nach dieser Rechtsprechung falle die KraftSt für die Zeit des Verfahrens unter § 55 I Nr. 1 Alt. 2 InsO, wobei der Umstand, dass das Fahrzeug zur Masse gehöre und der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters unterliege, den ausreichenden Bezug herstelle. Eine Ausnahme bestehe nach dem BFH etwa, wenn das KFZ als Grundstückszubehör schon vor dem Verfahren einer Zwangsverwaltung unterliege (s. BFH 01.08.2012 – II R 28/11, BeckRS 2012, 96383). Onusseit stellte dar, dass bei bereits entrichteter KraftSt für die Zeit nach Verfahrenseröffnung parallel zu der gegen den Insolvenzverwalter festzusetzenden Masseverbindlichkeit nach BFH ein Erstattungsanspruch entstehe, der mit Insolvenzforderungen aufgerechnet werden könne (BFH NZI 2005, 279 mAnm Gundlach/Frenzel NZI 2005, 281; bestätigt durch BFH 26.11.2013 – VII B 243/12, BeckRS 2014, 94397). Dies werde begründet mit einer Wesensverschiedenheit der „Steuerschuld der Masse“ von der „Steuerschuld des Schuldners“. Eine solche Verschiedenheit im Wesen – was auch immer das „Wesen“ einer Forderung sei – gebe es jedoch nicht, da die InsO gerade nicht auf das materielle Steuerrecht einwirke, sondern zum Vollstreckungsrecht gehöre. Schuldner der Steuerschuld bleibe auch im Verfahren der Insolvenzschuldner.

Als weiteres Themenfeld behandelte Onusseit aus dem Einkommensteuerrecht ausgehend von der Entscheidung des X. Senats des BFH vom 07.07.2020 (NZI 2020, 1119 mAnm Schmittmann NZI 2020, 1124) die Aufdeckung stiller Reserven. Trotz einer wertübersteigenden Belastung und eines damit fehlenden Massezuflusses hatte das Finanzamt hier nach einer Grundstücksversteigerung auf Betreiben des Grundpfandgläubigers die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer gegen den Insolvenzverwalter festgesetzt, was vom BFH bestätigt wurde. Aus der Entscheidungsbegründung überzeugte Onusseit dabei insbesondere nicht der Ansatz, für § 55 I Nr. 1 Alt. 2 InsO sei eine Maßnahme des Verwalters nicht zu verlangen, da andernfalls der Regelungsgehalt beider Alternativen identisch sei. Die insoweit aufgestellte Behauptung, die zweite Alternative solle gerade Forderungen erfassen, die kausal durch die Insolvenzverwaltung, aber ohne aktive Mitwirkung des Verwalters, etwa durch Absonderungsberechtigte, ausgelöst werde, halte einem Abgleich mit den Gesetzesmaterialien nicht Stand, die diesen Punkt gerade offen ließen. Richtigerweise erfasse Alt. 2 Verbindlichkeiten, die kraft Gesetzes, aber im Zusammenhang mit der Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse (durch den Insolvenzverwalter) begründet werden. Bei Steuerverbindlichkeiten müsse daher entscheidend darauf abgestellt werden, ob schon das Halten eines Gegenstandes diese begründe oder ob eine mitwirkende Handlung eines Dritten für die Begründung der Verbindlichkeit erforderlich ist. Zudem sei ein bewusstes Halten des Gegenstands durch den Insolvenzverwalter zu verlangen. Weiterhin stellte Onusseit in Frage, ob die vom BFH im Kern seiner Entscheidung angeführten Gerechtigkeitserwägungen im Steuerrecht etwas zu suchen hätten. Gerechtigkeit, wie sie der BFH verstehe, sei wohl die Vollbefriedigung des Fiskus. Abschließend wies er auf Unsicherheiten für die Insolvenzverwaltung auf Grund von Abweichungen zur Rechtsprechung anderer Senate des BFH (etwa NZI 2002, 572; NZI 2019, 674 mAnm Hoffmann NZI 2019, 676) hin.

Zur Insolvenz des Personengesellschafters verwies Onusseit auf die Entscheidung des BFH vom 10.07.2019 (NZI 2020, 334), die trotz im Wesentlichen vergleichbarer Begründung mit der Entscheidung vom 07.07.2020 im Ergebnis zutreffend sei. Die Verwalterhandlung liege in diesem Fall bereits im Halten der Beteiligung nach § 80 InsO, welches die Zurechnung des Gewinnanteils bedinge.

Onusseit schloss seinen Vortrag mit der Feststellung, dass er keine Hoffnung habe, dass sich an der BFH-Rechtsprechung zu Gunsten der Insolvenzmasse in absehbarer Zeit etwas ändern werde.

Neufassung von § 55 IV InsO

Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Alexander Witfeld nahm im ersten Ko-Referat den Schwenk aus dem eröffneten in das Insolvenzeröffnungsverfahren vor und stellte im Detail die Regelung des § 55 IV InsO in der zum 01.01.2021 geschaffenen Neufassung dar. Er ordnete die Norm dabei ausdrücklich als Fiskusvorrecht ein. Zur Genese rief Witfeld die wesentlichen flankierenden BFH-Entscheidungen zur sog. Doppelberichtigungsrechtsprechung in Erinnerung, neben welcher eine Besteuerungslücke bei Vereinnahmung des Entgelts im Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens verbleibe. Die Neufassung von § 55 IV InsO bedeute eine zeitliche Erweiterung hinsichtlich der Eigenverwaltung, da nun auch die nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründeten Steuerverbindlichkeiten erfasst sind, sowie eine sachliche Verengung, da „nur“ noch die abschließend aufgezählten Steuerarten als Masseverbindlichkeit gelten. Witfeld betonte, dass der Gesetzgeber hier erstmals eine gemeinsame Wertentscheidung im Insolvenzsteuerrecht zum Ausdruck gebracht, und zwar im Hinblick auf eine „Treuguteigenschaft der Umsatzsteuer“. Hieraus leitete er rechtsdogmatisch die Frage ab, ob bei folgerichtiger Betrachtung nicht eher eine Einordnung als Aus- oder Absonderungsrecht vorgenommen werden müsste. Er bedauerte, dass mit der Neufassung des § 55 IV InsO nicht zugleich eine Positionierung des Gesetzgebers zur Doppelberichtigungsrechtsprechung erfolgt ist.

Hieran anknüpfend beleuchtete Rechtsanwalt Dr. Felix Mocker die Wirkung des § 55 IV InsO für die unterschiedlichen denkbaren Fallgruppen des Zeitpunktes von Leistungserbringung und Entgeltvereinnahmung im Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensstand des Insolvenzverfahrens. Dabei wies er etwa darauf hin, dass nach dem BMF-Schreiben vom 11.01.2022 (BStBl. I 2022 Rn. 3, 9, 17, 19, 21) in der vorläufigen Eigenverwaltung eine Masseverbindlichkeit anzunehmen sei, wenn die Leistungserbringung vor der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und die Entgeltvereinnahmung durch den Schuldner vor Insolvenzeröffnung erfolge. Dies werde damit begründet, dass der Schuldner zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis behalte, diese aber bereits für die spätere Insolvenzmasse ausübe.

Den Vorträgen schloss sich eine rund halbstündige Diskussion an, in der unter anderem die Separationsthese von Enno Becker, eine Überladung von Art. 3 GG und die Einordnung des Insolvenzverfahrens als geordnetes Verfahren im europarechtlichen Sinn thematisiert wurden. Witfeld stellte zum Abschluss die Frage nach der rein insolvenzrechtlichen Bewertung der im BMF-Schreiben aufgestellten These, dass der Schuldner auch in der Phase der vorläufigen Eigenverwaltung bereits als Amtswalter fremder Interessen handle. Mocker verwies insoweit auf ein abweichendes insolvenzrechtliches Grundverständnis, zugleich aber auf die Eigenschaft auch des § 55 IV InsO als Insolvenzrecht und dessen Wortlaut.

Mit Dank an die Referenten und Teilnehmer verabschiedete sich Desens bis zum 8. Leipziger Insolvenzsteuerrechtstag wieder am Faschingsdienstag, dem 21.02.2023.

 








 

Anzeige


NZI Probeabo | Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht


beck-online Insolvenzrecht plus - Probeabo

Teilen:

Menü