Rechtsanwältin Lisa Lösch, KLIEMT.Arbeitsrecht, Frankfurt a. M.
Heft 12/2025

Nach dem Wegfall der pandemiebedingten Homeoffice-Pflicht haben viele Unternehmen wieder eine stärkere Präsenzkultur etabliert. Gleichzeitig ist der Wunsch vieler Arbeitnehmer gewachsen, zumindest teilweise weiter von zu Hause zu arbeiten – nicht selten gestützt durch sog. „Homeoffice-Atteste“. Der Begriff „Homeoffice auf Rezept“ steht sinnbildlich für eine aktuelle Unsicherheit: medizinisch empfohlen, aber rechtlich nicht geregelt.
In der Praxis sorgen solche Atteste zu Recht für Diskussionen. Trotz medizinischer Grundlage sind sie rechtlich nur begrenzt wirksam. Ein Attest, das Arbeiten ausschließlich im Homeoffice „nahelegt“ oder „empfiehlt“, stellt keine AU-Bescheinigung dar. Es dokumentiert keine vollständige Arbeitsunfähigkeit, sondern knüpft die Arbeitsfähigkeit an einen bestimmten Arbeitsort – meist das Homeoffice. Eine „teilweise Arbeitsunfähigkeit“ kennt das geltende Recht nicht. Auch das Entgeltfortzahlungsgesetz setzt eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Arbeitsleistung unabhängig vom Arbeitsort voraus. Anders als eine AU-Bescheinigung hat ein solches Attest keinen gesetzlichen Beweiswert – es begründet weder einen Anspruch auf Homeoffice noch eine Verpflichtung zur Umsetzung. Es gilt: kein Automatismus.
Für Arbeitgeber bedeutet das einen Balanceakt: medizinische Empfehlungen ernst nehmen und Fürsorgepflicht wahren, ohne das Weisungsrecht aufzugeben. Ein gesetzlicher Anspruch auf Homeoffice besteht grundsätzlich nicht. Maßgeblich bleibt das Direktionsrecht nach § 106 GewO, das Entscheidungen am Maßstab des billigen Ermessens misst. Eine ärztliche Empfehlung ist zu berücksichtigen, aber nicht allein ausschlaggebend. Gerade deshalb dürften und sollten Arbeitgeber nachfragen. Welche Arbeitsbedingungen wurden zugrunde gelegt und inwieweit sind gesundheitliche Einschränkungen gegeben? Ist der bisherige Arbeitsplatz unzumutbar oder wären Anpassungen ausreichend? Wird eine Klärung verweigert, kann das bei der Interessenabwägung zulasten des Arbeitnehmers gewertet werden.
Der Wunsch nach Klarheit stößt in der Praxis schnell an Grenzen – rechtlich, organisatorisch und menschlich. Datenschutz, fehlende gesetzliche Vorgaben und die oft nur vagen Formulierungen der Atteste machen die Entscheidung nicht leichter. Umso wichtiger ist es, dass Arbeitgeber auf eine gut dokumentierte, individuelle Abwägung setzen, bei der sowohl medizinische Hinweise als auch betriebliche Anforderungen fair berücksichtigt werden.
Der Umgang mit Homeoffice-Attesten ist keine schwarz-weiße Entscheidung. Vielmehrt verlangt er eine sorgfältige Einzelfallabwägung. Zwischen Fürsorgepflicht und Direktionsrecht, medizinischer Einschätzung und betrieblicher Realität liegt ein Spannungsfeld, das nicht pauschal aufzulösen ist. Arbeitgeber sind gut beraten, sich nicht vorschnell auf Empfehlungen zu verlassen, sondern strukturiert zu prüfen, was zumutbar, notwendig und möglich ist.
Das ist kein leichter Weg, aber ein notwendiger. Er verlangt Fingerspitzengefühl im Umgang mit sensiblen Gesundheitsfragen, aber auch Klarheit in der Kommunikation und Verlässlichkeit im Prozess. Die „Quadratur des Kreises“ bleibt eine Herausforderung. Doch mit Augenmaß, Offenheit und konsequenter Abwägung lässt sich auch eine komplexe Entscheidung tragfähig treffen – gerade weil sie nicht einfach ist.
