Eine Wirtschaftskanzlei hatte eine Rechtsanwältin fünf Jahre lang beschäftigt. Sodann kündigte sie nach erfolglosen Verhandlungen den Arbeitsvertrag außerordentlich und hilfsweise auch ordentlich, weil sie inzwischen zu der Einschätzung gekommen war: Diese Angestellte generiert viel zu wenig Umsatz und akquiriert keine profitablen Mandate. Associates, die dort nicht nach dem vierten bis fünften Beschäftigungsjahr zum Assoziierten Partner bzw. Counsel befördert wurden, verließen in der Regel die Sozietät. In den Jahren 2009 bis 2015 beschäftigte diese bis auf die Rechtsanwältin keinen angestellte Juristen, der länger als fünf Jahre dort tätig war – es herrschte das Prinzip: "Grow or Go", auch bekannt als: "Up or Out". Die jährliche Grundvergütung der Klägerin wurde in den Jahren 2010 bis 2013 jeweils um zumindest 5.000 Euro brutto erhöht; einige Kollegen von ihr erhielten Boni auf Grundlage der von ihnen erzielten Umsätze.
Schmutzige Wäsche gewaschen
Im Kündigungsschutzverfahren stellte die Sozietät einen Auflösungsantrag, nachdem klar geworden war, dass beide Entlassungen unwirksam waren. Sie begründete ihn damit, dass ihr die Juristin in dem Gerichtsverfahren Abrechnungsbetrug gegenüber Mandanten unterstellt habe. Wobei die Frau bestritt, dies jemals geäußert zu haben –obwohl dieser Verdacht objektiv bestehe. Sie stellte eine ganze Latte von Forderungen auf – so die Zahlung von Grundgehalt, eine Regelerhöhung ihrer Vergütung von zunächst 5.000 Euro pro Jahr, Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, Arbeitgeberzuschüsse zum Versorgungswerk, zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung sowie Wert- bzw. Schadenersatz wegen unterbliebener Überlassung einer Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr plus Ersatzurlaub. Ferner verlangte sie Auskunft über die auf ihre internen Konkurrenten angewandten Ernennungs- bzw. Beförderungsbedingungen sowie den Widerruf bestimmter in einem Schriftsatz aufgestellte Behauptungen über sie aus der Prozessgeschichte.
Mit diesem Strauß an Wünschen erlitt die Juristin sowohl vor dem Arbeitsgericht Berlin als auch anschließend am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg weitestgehend Schiffbruch. Letzteres löste gegen Zahlung einer Abfindung zum 31.07.2015 das Arbeitsverhältnis auf und wies ihren Antrag, die Kanzlei solle bestimmte schriftlich getätigte Aussagen aus dem Rechtsstreit widerrufen, als unzulässig ab. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte nun die Auflösung, hob das Urteil aber auf, soweit es den Widerrufsantrag betraf (Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 306/22).
"Für weitere Tätigkeit ungeeignet"
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG durch das LAG war rechtmäßig, befanden die Erfurter Richterinnen und Richter: Die Kündigung habe keine unerlaubte Maßregelung nach § 612a BGB dargestellt, um eine Einwilligung in einen Aufhebungsvertrag zu bekommen. Denn die Sozietät habe der Associate den Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht wegen einer Rechtsausübung ihrerseits angetragen, sondern vielmehr deshalb, weil sie sie für eine weitere Tätigkeit für ungeeignet hielt. "Deshalb stellt sich auch die anschließend wegen der Weigerung der Klägerin, einvernehmlich aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, erklärte Kündigung nicht als maßregelnd dar", heißt es in dem Urteil. Einen berechtigten Auflösungsgrund erkannte der Senat darin, "dass die Klägerin durch ihren Prozessvortrag leichtfertig und ohne Bezug zur Bestandsstreitigkeit den nicht den Tatsachen entsprechenden Eindruck erweckt habe, die Beklagte habe vorsätzlich zu viele Stunden in das DATEV-System eingestellt, um Mandanten überhöhte Abrechnungen zu erteilen" – und das in einem erheblichen Umfang von knapp 10.000 Euro. Dieses Vorbringen sei allein in der Absicht erfolgt, die Beklagte herabzuwürdigen.
In einem Punkt muss die Vorinstanz allerdings noch einmal nacharbeiten. Das Berufungsgericht habe den Antrag der Frau auf Widerruf bestimmter, von der Gegenseite im Rechtsstreit aufgestellter Tatsachenbehauptungen nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses abweisen dürfen. Mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei es zwar an sich unvereinbar, wenn Äußerungen in einem Zivilprozess aus Gründen des Ehrschutzes zu zivilrechtlichen Nachteilen führen, sofern die Behauptung sich später als unrichtig oder unaufklärbar erweist. "Doch gilt dies mangels redlichen Handelns des sich Äußernden nicht, wenn die betreffenden Behauptungen (...) wissentlich unwahr erfolgen", heißt es in der Entscheidung weiter. Die Berlin-Brandenburger Richter müssen somit in der nächsten Runde auf eine sachdienliche Fassung des Widerrufsantrags hinwirken. So sei fraglich, ob etwa die ehrenamtlichen Richter in der ersten Instanz überhaupt mit den fraglichen Unterstellungen konfrontiert worden sein.
Was hörten die ehrenamtlichen Richter?
Bevor eine Klageabweisung als unzulässig erfolge, müsse ein Gericht nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO auf eine Antragskorrektur hinwirken. Deshalb habe die Zurückweisung unter anderem gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Eine Unschärfe gab es nämlich: Die Klägerin habe den Widerruf gegenüber der zuständigen Kammer des ArbG und beiden Prozessbevollmächtigten verlangt, obwohl gar nicht klar war, ob beispielsweise den ehrenamtlichen Richtern die inkriminierte Äußerung überhaupt zur Kenntnis gelangt war. Und selbst wenn das Berufungsgericht von einem wissentlich wahrheitswidrigen Vorbringen der Kanzlei ausgehen sollte: Das spräche dann zwar wirklich für eine Vermutung für erforderliche Bestehen einer Wiederholungsgefahr. Doch wäre diese Vermutung den obersten Arbeitsrichtern zufolge als widerlegt anzusehen, wenn die Beeinträchtigung durch eine einmalige Sondersituation veranlasst gewesen sein und eine Wiederholung fernliegen sollte (Urt. v. 24.8.2023 - 2 AZR 306/22).