Im Streit um die Mitbestimmung beim Softwarekonzern SAP haben sich die IG Metall und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di durchgesetzt: Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt, dass sie ein Recht auf separate Wahlgänge für die von ihnen nominierten Kandidaten im Kontrollgremium einer Societas Europaea (SE) – auch Europa-AG genannt – haben. Mit dieser Entscheidung haben Deutschlands oberste Arbeitsrichter ein EuGH-Urteil umgesetzt.
Seit deren Einführung werben Wirtschaftsanwälte für die Umwandlung in eine SE – nicht zuletzt mit dem Argument, damit lasse sich der jeweilige Status quo der Mitbestimmung im Unternehmen "einfrieren". Ursprünglich galt bei SAP das Mitbestimmungsgesetz. Der 16-köpfige Aufsichtsrat der AG deutschen Rechts war je zur Hälfte mit Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt. Zu Letzteren gehörten zwei Personen, die von Gewerkschaften vorgeschlagen worden waren und in einem separaten Wahlgang bestimmt wurden.
Beim Wechsel des Rechtskleids im Jahr 2014 schlossen die Arbeitgeberin und das "besondere Verhandlungsgremium" eine Vereinbarung nach dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG), welche die Möglichkeit vorsieht, das Kontrollorgan auf zwölf Mitglieder zu verkleinern. Dann sollten die Gewerkschaften zwar eigene Vorschläge unterbreiten, aber es sollte kein getrennter Wahlgang mehr stattfinden. IG Metall und Ver.di halten dagegen, dies verstoße gegen § 21 Abs. 6 SEBG. Die Vorschrift verbietet es, bei der Umwandlung in eine SE das Ausmaß der Arbeitnehmerbeteiligung gegenüber der vorherigen Rechtsform zu unterschreiten.
Getrennten Wahlgang beibehalten: Auch für ausländische Gewerkschaften
"Schreibt das nationale Recht für die umzuwandelnde Gesellschaft einen getrennten Wahlgang für die Wahl der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter vor, muss eine solche Regelung (...) beibehalten werden", urteilten die Europarichter vor knapp einem Jahr. Nach dem bei SAP ausgehandelten Verfahren sei jedoch nicht mehr sichergestellt, dass sich unter den Vertretern der Arbeitnehmer im Kontrollgremium auch tatsächlich ein Gewerkschaftsvertreter befinde. Das hatten Deutschlands oberste Arbeitsrichter genauso gesehen und darin einen Verstoß gegen die gesetzliche Regelung vermutet. Sie hatten aber Zweifel, ob die EU-Richtlinie 2001/86 zur Ergänzung des Statuts der SE hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer nicht ein - gegebenenfalls von allen Mitgliedstaaten in gleichem Maß sicherzustellendes - einheitliches Schutzniveau vorsehe, das geringer sei als nach deutschem Recht.
Der EuGH befand hierzu: Nach deren Wortlaut müsse in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft bestehe, die in eine SE umgewandelt werden solle (Vorher-Nachher-Prinzip). Laut dem Urteil ist für die Beurteilung, ob die Vereinbarung eine mindestens gleichwertige Beteiligung sichert, das deutsche Recht maßgebend, so wie es für diese Gesellschaft vor ihrer Umwandlung in eine SE galt - insbesondere das Mitbestimmungsgesetz. Der Unionsgesetzgeber sei der Auffassung gewesen, dass es angesichts der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten nicht ratsam sei, ein auf die SE anwendbares einheitliches europäisches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorzusehen. "Somit wollte der Unionsgesetzgeber die Gefahr ausschließen, dass die Gründung einer SE, insbesondere im Wege der Umwandlung, zu einer Einschränkung oder sogar zur Beseitigung der Beteiligungsrechte führt, die die Arbeitnehmer der Gesellschaft, die in die SE umgewandelt werden soll, nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten genossen haben", schrieb der Gerichtshof im Oktober weiter.
Darüber hinaus stellte er klar, dass dann das Recht, einen bestimmten Anteil der Kandidaten für die Wahlen der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vorzuschlagen, nicht nur den deutschen Gewerkschaften vorbehalten sein dürfe. Vielmehr sei er auf alle in der SE, ihren Tochtergesellschaften und Betrieben vertretenen Organisationen auszuweiten, so dass insoweit deren Gleichheit garantiert sei.
Vollständig unwirksam
Den Erfurter Richtern blieb in ihrem sogenannten Schlussbeschluss, der ihnen allerdings wohl nicht missfallen haben dürfte, wenig Spielraum. Sie erklärten den kompletten betroffenen Teil der Beteiligungsvereinbarung für unwirksam, eine ergänzende Auslegung sei nicht möglich.
Umso ausführlicher legen sie auf sechs vollen Seiten die Argumente für ihre eigene Zuständigkeit (statt jener der Zivilgerichte) dar. Dabei fallen Streitigkeiten, die die Wirksamkeit einer Beteiligungsvereinbarung betreffen, nach § 2a Abs. 1 Nr. 3e ArbGG in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.