Zahlt eine GmbH ihren Arbeitnehmern nicht den gesetzlichen Mindestlohn, haften für den Schadensersatz nicht die Geschäftsführer, urteilt das Bundesarbeitsgericht. Zwar müssen diese nach dem MiLoG möglicherweise ein Bußgeld zahlen. Doch der Bußgeldtatbestand sei kein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmer der Gesellschaft im Verhältnis zum Geschäftsführer.
Ein technischer Zeichner nahm zwei Geschäftsführer einer zahlungsunfähigen GmbH persönlich auf Schadenersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von rund 1.600 Euro in Anspruch. Er hatte im Juni 2017 an 22 Arbeitstagen keinen Lohn erhalten. Im November desselben Jahres eröffnete das Amtsgericht Gera das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Unternehmens.
Wie schon zuvor das Arbeitsgericht Gera und das Landesarbeitsgericht Thüringen hat nun das BAG einen Schadensersatzanspruch gegen die Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGB OWiG in Verbindung mit § 1 MiLoG verneint. Die Geschäftsführer sind dem ehemaligen Mitarbeiter nicht persönlich zum Schadensersatz verpflichtet.
BAG: MiLoG ist kein Schutzgesetz
Die Pflichten von Gesellschaftern seien grundsätzlich auf ihr Verhältnis zur Gesellschaft begrenzt. Auch die Pflicht, dass die Gesellschaft sich rechtmäßig verhält, solle nicht die Gläubiger der Gesellschaft schützen. Eine Haftung gegenüber außenstehenden Dritten gebe es grundsätzlich nicht, die nach § 43 Abs. 2 GmbHG beschränkte Haftung gegenüber der Gesellschaft mache deutlich, dass Schadensersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung eben die Gesellschaft habe, nicht außenstehende Dritte, so die Erfurter Richter unter Bezugnahme auf ihre ständige Rechtsprechung. Anders könnte es nur dann sein, wenn ein besonderer Haftungsgrund bestünde.
Den aber gebe es bei der Nichtzahlung des Mindestlohns nicht. Der Bußgeldtatbestand nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 in Verbindung mit § 20 MiLoG sei kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Geschäftsführern.
Die Annahme eines Schutzgesetzes würde nämlich dazu führen, dass Geschäftsführer von Arbeitnehmern selbst bei nur (leicht) fahrlässiger Verwirklichung des Bußgeldtatbestands nach § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch genommen werden könnten. Dann hätten die Arbeitnehmer über die GmbH als ihren Vertragsarbeitgeber hinaus mit den Geschäftsführern de facto weitere Schuldner, das Haftungssystem des GmbHG, in dem es eine allgemeine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer der Gesellschaft gerade nicht gibt, würde für den Bereich der Vergütungspflicht des Arbeitgebers vielfach durchkreuzt, so der 8. Senat. Eine zivilrechtliche Haftung der für den Arbeitgeber handelnden Organe sehe der Gesetzgeber nicht vor.
Zum selben Ergebnis gelangten die Erfurter Richter auch in einem Parallelverfahren (Urteil vom 30.03.2023, Az.: 8 AZR 199/22) mit dem Unterschied, dass die dortige Vorinstanz beim Landesarbeitsgericht Sachsen (Urteil vom 17.9.2019, Az.: 1 Sa 77/19) von einem Schutzgesetz ausgegangen war und die Haftung des Geschäftsführers bejaht hatte.
Aus der Datenbank beck-online
LAG Thüringen, Schadenersatz aufgrund unterbliebener Entgeltfortzahlung, BeckRS 2022, 16130 (Vorinstanz)
BAG, Insolvenzanfechtung von Arbeitsentgelt – gesetzlicher Mindestlohn, NZI 2022, 782 (mit Anmerkung von Benckert, NJW-Spezial 2022, 532)
ArbG Gera, Arbeitszeit, Beschwerdewert, Insolvenzgeld, Prozeßbevollmächtigter, BeckRS 2019, 62300 (Erste Instanz)
Stähle, Haftungskette und Haftungsdurchgriff bei nicht gezahltem Mindestlohn, NZA-RR 2019, 462