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Heruntergeladene Impfunfähigkeitsbescheinigung als Kündigungsgrund?

LAG Schleswig-Holstein
Die Vor­la­ge einer aus dem In­ter­net aus­ge­druck­ten ärzt­li­chen "Be­schei­ni­gung über die vor­läu­fi­ge Impf­un­fä­hig­keit" kann die frist­lo­se Kün­di­gung eines lang­jäh­ri­gen Ar­beits­ver­hält­nis­ses im Ein­zel­fall recht­fer­ti­gen. Das hat die vier­te Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein ent­schie­den. Al­ler­dings ist des­sen fünf­te Kam­mer ge­gen­tei­li­ger An­sicht. Es liege schon "an sich" kein ge­eig­ne­ter Grund für eine au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung vor. Jetzt wird das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schei­den, da in bei­den Fäl­len Re­vi­si­on ein­ge­legt wurde.

Bescheinigungen ging keine ärztliche Konsultation voraus

Eine Klägerin ist bei der Beklagten als Pflegeassistentin seit 1988, die andere als Krankenschwester seit 2001 beschäftigt. Beide sind tariflich ordentlich unkündbar. Zur Umsetzung der einrichtungsbezogene Impfpflicht wies die Beklagte ihre Mitarbeitenden an, den Impf- beziehungsweise Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen. Die Klägerinnen haben daraufhin jeweils ein Schriftstück vorgelegt, das eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigt und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland ausweist. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine Besprechung mit der Ärztin fand nicht statt – auch keine digitale. Die Beklagte hat das Gesundheitsamt über die Vorgänge informiert und außerdem den Klägerinnen im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.08.2022/31.07.2022 gekündigt. In ihren Kündigungsschutzklagen führen die Klägerinnen aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20a IfSG weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen der Beklagten gegenüber ihren Beschäftigten ausschließe. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung des betroffenen Mitarbeitenden veranlassen.

Beide LAG-Kammern bejahen Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflicht

Beide Entscheidungen des LAG halten zunächst fest, dass § 20a IfSG in der zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs geltenden Fassung arbeitsrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vorlage unrichtiger Impfunfähigkeitsbescheinigungen nicht sperrt. § 20a IfSG regele in Abs. 5 die Handlungsmöglichkeiten des Gesundheitsamts, nicht aber die des Arbeitgebers. Nach beiden Entscheidungen verstößt ein im Krankenhaus beschäftigter Arbeitnehmer mit der Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung über eine Corona-Impfunverträglichkeit, die weder auf einer ärztlichen Untersuchung noch wenigstens auf einer individuellen ärztlichen Anamnese beruht, gegen eine gesetzlich geregelte Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag. Die Kammern bewerten allerdings die Schwere dieses Pflichtenverstoßes unterschiedlich.

Vierte Kammer: Gravierender Vertrauensmissbrauch – Abmahnung entbehrlich

Die vierte Kammer argumentiert, dass mit der vorgelegten Impfunfähigkeitsbescheinigung bewusst ein falscher Eindruck erweckt werden sollte, und zwar, dass, bezogen auf "diesen Patienten", dessen individuelle Situation aufgrund ärztlicher Einschätzung nach individueller Kontaktierung bewertet wurde mit dem Ergebnis einer zeitlich begrenzten Impfunfähigkeit. Der Versuch der Klägerin, ihre gesetzliche Nebenpflicht zur Vorlage einer Impfunfähigkeitsbescheinigung zu umgehen, wirke sich besonders belastend auf das Arbeitsverhältnis und gravierend auf das Vertrauensverhältnis aus. Im Rahmen der Interessenabwägung im Einzelfall sei von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin ihre individuellen Vorbehalte gegen eine Impfung hätte direkt gegenüber der Beklagten äußern können und müssen. Die Verwendung der aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung stelle sich als unrechtmäßiges Mittel dar, um sich vorübergehend der Verpflichtung nach § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG zu entziehen. Diese Vorschrift sichere ein überragendes Gut, die öffentliche Gesundheit. Ein Arbeitgeber müsse sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine vorherige Abmahnung verweisen lassen. Schließlich ergäben sich im konkreten Fall auch keine individuellen gesundheitlichen Anhaltspunkte, aufgrund derer die Klägerin – möglicherweise auch durch Erkrankungen in der Vergangenheit begründet – befürchten muss, an Impfnebenfolgen leiden zu müssen.

Fünfte Kammer: Nebenpflichtverletzung nicht schwerwiegend – Abmahnung erforderlich

Die fünfte Kammer des LAG hält dagegen die Vorlage der "Fake-Impfunfähigkeitsbescheinigung" für keine schwerwiegende, für eine fristlose Kündigung an sich geeignete Nebenpflichtverletzung. Eine solche ergebe sich auch nicht aus einem zulasten des Arbeitgebers begangenen Betrugsversuch. Es fehle an einem Vermögensschaden und im Übrigen am Vorsatz der Klägerin, die an ihre Impfunfähigkeit geglaubt habe. Auch die versuchte Täuschung, das vorgelegte Attest sei aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erstellt worden, reiche nicht aus. Das vorgelegte Schreiben bescheinige keine diagnostizierte Impfunfähigkeit, sondern enthalte nur die allgemeine Meinungsäußerung einer Ärztin. Es sei als Impfunfähigkeitsbescheinigung offensichtlich untauglich. Im Übrigen hätte es vor Ausspruch einer Kündigung jedenfalls einer Abmahnung bedurft (Urt. v. 24.11.2022 4 Sa 139/22). 

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