Professor Dr. Daniel Ulber, Halle (Saale)
Heft 9/2023
Nunmehr liegt der langerwartete Entwurf des BMAS für eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes vor. Er regelt die vom EuGH (14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683) aus der Arbeitszeitrichtlinie abgeleitete Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Nachdem das BAG (13.9.2022 – 1 ABR 22/21, NZA 2022, 1616) § 3 I Nr. 1 ArbSchG bereits jetzt eine entsprechende Pflicht entnimmt, war das überfällig, da viele Einzelfragen ungeklärt blieben. Während das BAG wohl in erster Linie im Blick hatte, den Betriebsparteien Beinfreiheit zu verschaffen, nahm das BMAS nunmehr im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit das Heft in die Hand. Der Referentenentwurf hält sich – was beim ArbZG überrascht – an die unionsrechtlichen Vorgaben. Ziel ist, dass die Schutzvorschriften von Richtlinie und ArbZG möglichst eingehalten werden. Das hat dem Entwurf viel unqualifizierte und polemische Kritik eingebracht. Dabei lassen die unionsrechtlichen Vorgaben und die (restriktive) Rechtsprechung des EuGH dem Gesetzgeber wenig Spielraum (s. auch Greiner/Kalle, NZA 2023, 547, in diesem Heft). Dem BMAS muss man vielmehr attestieren, dass es solide gearbeitet hat. Das dürfte auch der eigentliche Anlass für die vielfach geübte Kritik sein. Schlupflöcher beinhaltet das Gesetz nicht und verlangt richtigerweise im Grundsatz eine elektronische Erfassung. Wer Vertrauensarbeitszeit bislang so organisiert hatte, dass sie gegen das ArbZG verstößt, läuft nun Gefahr, entdeckt zu werden. Für alle anderen reicht eine App für 6 bis 8 EUR, um die Arbeitszeit durch Dritte erfassen zu lassen. Da kann man die unionsrechtswidrigen Abweichungsbefugnisse für die Tarifvertragsparteien durchaus verschmerzen.
Der Elefant im Raum ist, dass es einen durchaus signifikanten Anteil von Arbeitgebern gibt, die die Vorschriften des ArbZG bislang nicht eingehalten haben und nun Entdeckung fürchten. Auch für einen Teil von Beschäftigten, die bislang ihre Arbeit schneller oder langsamer als der Durchschnitt erbracht haben, werden die Möglichkeiten reduziert, dies für einen früheren Dienstschluss zu nutzen bzw. durch nicht erfasste Mehrarbeit zu kompensieren. Es erstaunt gleichwohl, mit welcher Chuzpe gefordert wird, wenn man nunmehr nicht mehr ohne Entdeckungsgefahr gegen das Gesetz verstoßen könne, müsse dieses eben geändert werden. Alternativ müsse die Arbeitszeiterfassung so ausgestaltet werden, dass sie ihren Zweck verfehlt. All das ist schon wegen der Vorgaben der Richtlinie nicht machbar.
Zweifelsohne besteht im Arbeitszeitrecht aufgrund technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen Anpassungsbedarf, gerade bei der Wissensarbeit. Diese Debatte wird aber verbreitet mit überzogenen und größtenteils unionsrechtswidrigen Forderungen geführt, die einen politischen Kompromiss unmöglich machen. An der Pflicht, 11 Stunden durchgehende Ruhezeit zu gewähren, lässt sich ohne Änderung der Arbeitszeitrichtlinie nichts ändern. Eine Aufhebung der täglichen Höchstarbeitszeit als Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verkaufen, ist schlicht unseriös. Besser wäre die Einsicht, dass das bestehende System unangetastet bleiben kann, wenn man sich dem mühseligen Pfad über berufs- und branchenspezifische Ausnahmen ebenso zuwendet, wie einer Stärkung der Arbeitszeitautonomie von jenen, die Sorgearbeit leisten. Der sachliche und unaufgeregte Ansatz des Referentenentwurfs kann hier Vorbild sein.