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NZA Editorial

 

Die Arbeitszeit von Richterinnen und Richtern

Fachanwalt für Arbeitsrecht Professor Dr. Stefan Lunk, Hamburg

Heft 4/2023

Autor NZA-Editorial 4/2023, Stefan LunkDas BAG hat am 13.9.2022 (1 ABR 22/21, NZA 2022, 1616) das CCOO Judikat des EuGH (C-55/18, NZA 2019, 683) „umgesetzt“ und die Praxis „gerockt“. Unabhängig von einer Bewertung der Entscheidung ist sie nun der Goldstandard und verlangt von Arbeitgebern, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Gilt das auch für die Richterschaft? Das erscheint angesichts der richterlichen Unabhängigkeit, Art. 97 I GG, und des faktischen Beamtenstatus abwegig. Das sah offenbar soeben auch das BVerwG so, als es einem Richter den Anspruch auf ein Lebensarbeitszeitkonto verwehrte. Ausweislich der bisher nur vorliegenden Pressemitteilung (3/23 v. 12.1.2023), aber in Übereinstimmung mit der Vorinstanz (VGH Kassel 28.10.2021 – 1 A 2254/17BeckRS 2021, 32497), entschied es, der Umfang des richterlichen Einsatzes werde nach Arbeitspensen bemessen und nicht wie bei Beamten nach konkret vorgegebenen Arbeits- bzw. Dienstzeiten. Ein Lebensarbeitszeitkonto setze aber die normative Festlegung einer Wochenarbeitszeit voraus.

Erstaunlich ist, dass weder die Pressemitteilung noch das Urteil des VGH unionsrechtliche Überlegungen enthalten. Denn bereits vor geraumer Zeit entschied der EuGH, Richter erfüllten den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff, woran die richterliche Unabhängigkeit grundsätzlich nichts ändere (EuGH 1.3.2012 – C-393/10NZA 2012, 313 Rn. 47 – O’Brien; EuGH 16.7.2020 – C-658/18NZA 2020, 1697 Rn. 106 – Repubblica italiana). Generell werden Richter unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff jedenfalls des Art. 45 AEUV subsumiert (EuArbRK/Steinmeyer, 4. Aufl. 2022, AEUV Art. 45 Rn. 15). Da der ArbeitszeitRL 2003/88/EG, aus der EuGH und BAG die Pflicht zu Erfassung der Arbeitszeit ableiten, der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff zugrunde liegt, hätte es nahe gelegen, unionsrechtliche Gesichtspunkte zu erörtern oder gar dem EuGH vorzulegen. Die faktische Verweigerung von Lebensarbeitszeitkonten mit dem Argument, für Richter gelte keine messbare Arbeitszeitverpflichtung, dürfte mit den Vorgaben der ArbeitszeitRL unter Berücksichtigung der Auslegung durch den EuGH kaum in Einklang zu bringen sein. Denn wie können etwa Teilzeitansprüche von Richtern ohne Aufzeichnung der Arbeitszeit, sondern durch Abstellen auf Pensen (vgl. § 48c DRiG) erfüllt werden? Wie verhalten sich Gesundheitsschutz und Pensen?

Zwar gibt es praktische Gründe, die einer Arbeitszeiterfassung bei Richtern entgegenstehen – das gilt freilich für eine Vielzahl von Tätigkeiten, ohne dass dies die Rechtsprechung bisher sonderlich beeindruckt hätte. Der Gesundheitsschutz – zentrales Argument des BAG in seinem Judikat vom 13.9.2022 – ist zudem unteilbar. Die Regelungen über die richterlichen „Pensen“ wären einer unionskonformen Auslegung wohl zugänglich. Unionsrechtlichen Vorgaben, die sie bisher Dritten machte, wird sich die Richterschaft nicht entziehen können. Sie sind unionsrechtlich Arbeitnehmer. Der Gesetzgeber ist im Begriff, das ArbZG zu novellieren. Vielleicht findet er auch hierauf eine Antwort.

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