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NZA Editorial

 

Gesetzlicher Mindestlohn – Druck von unten

Rechtsanwalt Dr. Paul Gooren, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin

Heft 6/2022

Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 6/2022

Die Ampelkoalition macht Tempo beim Herzensthema und Wahlkampfversprechen der SPD, der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 EUR. Nachdem das BMAS Anfang Februar den Referentenentwurf veröffentlicht hatte, wurde der Regierungsentwurf bereits am 23.2.2022 beschlossen. Mit einer Verabschiedung durch den Bundestag ist in den nächsten Wochen bzw. Monaten zu rechnen. Die Erhöhung erfolgt dann planmäßig zum 1.10.2022.

Als der allgemeine Mindestlohn 2015 eingeführt wurde, war die Polarisierung groß. Inzwischen ist er gesellschaftlich und politisch weitgehend akzeptiert. Dementsprechend bezieht sich die aktuelle Diskussion auch primär auf technische Aspekte. Während die Befürworter den Mindestlohn zu einem Instrument der Bekämpfung der Altersarmut und der Ermöglichung einer echten gesellschaftlichen Teilhabe („living wage“) weiterentwickeln wollen, sehen Skeptiker insbesondere das bisherige System in Frage gestellt: Nach der Konzeption des MiLoG beschließt die Mindestlohnkommission über die Erhöhung und orientiert sich hierbei „nachlaufend an der Tarifentwicklung“ (§ 9 II 2 MiLoG); die Bundesregierung kann die vorgeschlagene Anpassung übernehmen, nicht aber eigene Änderungen durchführen. Die kommende gesetzgeberische Erhöhung wird insofern als Systembruch angesehen. Ferner wird – trotz (oder gerade wegen) der ständigen Betonung einer „einmaligen“ gesetzlichen Erhöhung – befürchtet, dass weitere Erhöhungen vor jeder Bundestagswahl zum Wahlkampfthema werden. 

Durchgreifender sind demgegenüber die Bedenken hinsichtlich des gewählten Zeitpunkts. Die SPD hatte stets angekündigt, dass die Erhöhung innerhalb eines Jahres kommen wird. Das Versprechen wird mit der Erhöhung zum 1.10.2022 eingelöst. Dieser Stichtag birgt allerdings das rechtliche Problem, dass die Mindestlohnkommission und die Bundesregierung die Erhöhungen bis Ende 2022 eigentlich schon vollständig durchgeplant und festgesetzt haben; die letzte Erhöhung erfolgt zum 1.7.2022 auf 10,45 EUR. Darauf haben sich insbesondere die Sozialpartner eingestellt. Mangels Übergangsregelung für bestehende Tarifverträge sieht etwa die BDA hierin einen Verfassungsverstoß. Gleichwohl müssen die Sozialpartner mit der Erhöhung praktisch umgehen. Hierbei stellt sich aufgrund der Kürze der Zeit und des steilen Anstiegs ( 22% gegenüber dem aktuellen Mindestlohn von 9,82 EUR) das Problem, dass das ganze Tarifgefüge durcheinandergebracht wird. Unmittelbar betrifft die Erhöhung zwar lediglich Lohngruppen unterhalb des Mindestlohns. Die Tarifvertragsparteien müssen aber mitunter das gesamte tarifliche Lohngefüge anpassen, um die erforderlichen Lohnabstände zwischen unterschiedlich qualifizierten Tätigkeiten zu gewährleisten. Hierdurch entsteht mittelbar ein „Druck von unten“ mit erheblichen wirtschaftlichen Gesamtauswirkungen. 2022 wird ein verhandlungsintensives Jahr für die Sozialpartner.

Der Mindestlohn erfreut sich großer Zustimmung in der Bevölkerung. Daran wird sich aufgrund der extremen Preis- und Inflationssteigerungen sobald nichts ändern. Höhere Löhne müssen jedoch auch erwirtschaftet werden. Nachdem die Corona-Pandemie die Welt bereits auf den Kopf gestellt hatte, sind die wirtschaftlichen Folgen der russischen Invasion der Ukraine noch gar nicht abzusehen. Es drohen ungemütliche Zeiten. 

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