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NZA Editorial

 

Crowdworking – Brüssel Calling

Rechtsanwalt Dr. Thomas Klebe, Apitzsch/Schmidt/Klebe, Frankfurt a.M.

Heft 2/2022

Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 2/2022 Dr. Thomas Klebe

Das BAG hat mit Urteil vom 1.12.2020 (NZA 2021, 552) auch in Deutschland klargestellt, dass bei digitalen Plattformen Beschäftigte, hier Crowdworker, Arbeitnehmer/innen sein können. Dies wird weltweit durch viele Gerichte, vor allem zu Fahr- und Lieferdiensten wie Uber oder Deliveroo, bestätigt. Laut EU-Kommission arbeiten in der Union rund 28 Mio. Menschen für digitale Plattformen, ca. 55% verdienen dabei weniger als den Nettomindeststundenlohn ihres Landes. Ein Grund: 90% der rund 500 in der EU aktiven Plattformen klassifizieren sie als Selbständige – ohne Anspruch auf die sozialen Standards eines Arbeitsverhältnisses wie Mindestlohn oder Urlaub. Die Kommission hält 5,5 Mio. für möglicherweise falsch eingeordnet, also für Arbeitnehmer/innen. Damit ist im Internet eine Parallelarbeitswelt entstanden, häufig mit Tagelöhnern wie im 19. Jahrhundert. Ausnahmen, wie die Plattformen, die sich mit der IG Metall auf einen Code of Conduct und eine Ombudsstelle geeinigt haben, können keine systemische Antwort sein. 

Die EU-Kommission hat deshalb am 9.12.2021 zwei wichtige Initiativen ergriffen. Sie hat den Entwurf einer Richtlinie vorgelegt, mit der sie die Bedingungen von Plattformarbeit, die, gleich wo der Sitz der Plattform ist, in der EU geleistet wird, verbessern will, und Leitlinien zum europäischen Wettbewerbsrecht, die Kollektivvereinbarungen auch für Soloselbständige ermöglichen sollen. Der Richtlinienentwurf sieht eine Vermutungsregelung mit Beweislastumkehr für Selbständige vor, die den Arbeitnehmer/in-Status anstreben, eine Regelung, die es in 10 EU-Ländern bereits in der einen oder anderen Form gibt. Voraussetzung ist, dass zwei von fünf in Art. 4 genannten Eigenschaften zutreffen. Dabei geht es um klassische Fragen des Weisungsrechts des Arbeitgebers, aber auch um Merkmale, die für Unternehmer konstitutiv sind, wie die Bildung einer Kundenbasis oder der eigene Marktauftritt. Können sich Selbständige auf die Vermutung stützen, kann die Plattform diese mit nationalem Recht bzw der EuGH-Rechtsprechung und entsprechender Beweislast widerlegen. Die Regelung wird durch Informations-, Organisations- und Dokumentationspflichten der Plattformen gegenüber allen Beschäftigten, deren Gewerkschaften und Behörden ergänzt. Diese Pflichten betreffen etwa die Algorithmen, mit denen sie die Beschäftigung managen, ein Beschwerdesystem mit Menschen auf der anderen Seite, nicht nur Chatbots, und digitale Kommunikationskanäle für die Beschäftigten untereinander und mit ihren Interessenvertretern (vgl. den aktuellen Koalitionsvertrag). Die Information zu Funktion und Wirkung der Algorithmen ist ua wichtig, um realistische Bewertungen für ein Statusverfahren zu erhalten. 

Die Leitlinien stärken auch die Rechte von Soloselbständigen auf digitalen Plattformen, die ihre Arbeitsbedingungen nicht signifikant beeinflussen können. Der Vorschlag wird nun für eine achtwöchentliche öffentliche Konsultation freigegeben. Anschließend ist er für die EU-Kommission bindend, nicht aber für die nationalen Kartellbehörden und den EuGH. Es ist allerdings naheliegend, dass diese Institutionen Widersprüche vermeiden werden. Der Richtlinienentwurf geht ins übliche Gesetzgebungsverfahren. Es ist zu wünschen, dass sich die Gremien der EU gegenüber der sicherlich massiv einsetzenden Lobbyarbeit als widerstandfähig erweisen. 

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