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NVwZ Nachrichten

Vermittlung von Videosprechstunden bei Ärzten: Gericht zerpflückt Geschäftsmodell

Von SG München | Jul 18, 2025
Lan­ges War­ten auf einen Ter­min und über­füll­te War­te­zim­mer: ge­setz­lich Kran­ken­ver­si­cher­te ken­nen das. Hier set­zen Ver­mitt­ler von Vi­deo­sprech­stun­den an. Doch das Ge­schäfts­mo­dell hat Tü­cken, die recht­li­chen Vor­ga­ben für Wer­bung, Da­ten­schutz und den Um­gang mit den Pa­ti­en­ten sind strikt.

In einer nach eigenen Worten "grundlegenden Entscheidung" hatte das SG München das Angebot eines Unternehmens zur gewerblichen Vermittlung von ärztlichen Videosprechstunden zu beurteilen. Es hat zum Spannungsfeld von technischem Fortschritt und den bestehenden rechtlichen Vorgaben für die ärztliche Versorgung gesetzlich versicherter Personen Stellung genommen (Urteil vom 29.04.2025 – S 56 KA 325/22).

Die Geschäftstätigkeit des Unternehmens zog die Aufmerksamkeit einer Kassenärztlichen Vereinigung auf sich. Sie störte sich an dem Internetauftritt und bestimmten Leistungen, die angeboten wurden. Das Geschäftsmodell beeinträchtige sie in ihrem Auftrag aus § 75 SGB V, eine bedarfsgerechte Versorgung der gesetzlich Versicherten, die angemessene Vergütung der ärztlichen Leistungen sowie die Beitragsstabilität sicherzustellen. Außerdem warf die Kassenärztliche Vereinigung dem Vermittlungsunternehmen vor, mit seinem Angebot an Verstößen gegen Marktverhaltensnormen durch Vertragsärzte teilzunehmen.

"Tschüss Wartezimmer": Das funktioniert nicht immer

"Tschüss Wartezimmer. Hallo Online-Arzt" – mit diesem Slogan hatte das Unternehmen geworben. Das SG München bestätigte die Kritik der Kassenärztlichen Vereinigung in weiten Zügen und stellte auf deren Unterlassungsklage klar, dass das Unternehmen nicht länger mit dem beanstandeten Slogan werben darf.

Denn dieser verstoße gegen § 9 HWG, der in Satz 1 ein grundsätzliches Werbeverbot für ärztliche Fernbehandlungen aufstellt. Etwas anderes gilt nur dann, "wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist" (§ 9 S. 2 HWG). Diese Ausnahme aber greife für das Unternehmen nicht. Denn es bewerbe ein "umfassendes, nicht auf bestimmte Krankheitsbilder eingeschränktes digitales Primärversorgungsmodell". Das SG misst der Kombination aus "Tschüss Wartezimmer" und "Hallo Online Arzt" die Aussage zu, dass die ärztliche Versorgung jeder Erkrankung ohne einen "klassischen" Arztbesuch möglich ist. Das führe die Versicherten in die Irre.

Freie Arztwahl nicht gewährleistet

Das SG beanstandet zudem, dass der angebotene Videodienst eine vorherige Registrierung erforderte. Für gesetzlich Versicherte sei das unzulässig. Diesen sei ein "leichter Zugang zur Videosprechstunde, insbesondere ohne weitere Aufforderung zur Registrierung, zu ermöglichen", schreibe der Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) vor.

Als verletzt sieht das Gericht auch das Recht der gesetzlich Versicherten an, den behandelnden Arzt unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungsträgern frei wählen können, § 76 Abs. 1 S. 1 SGB V. Die gesetzlich Versicherten konnten nach ihrer Registrierung bzw. ihrem Einloggen in dem Unternehmensportal lediglich einen Zeitraum für die Videosprechstunde auswählen. Die über die Terminanfrage informierten Ärzte entschieden dann, ob sie den Termin übernehmen oder nicht. Die Versicherten konnten mithin nicht selbst unter den Ärzten auswählen, die über das Unternehmen Videosprechstunden anbieten. 

Unternehmen darf keine Patientenakte führen und keine Symptome an Ärzte weitergeben

Zu Recht mache die Kassenärztliche Vereinigung auch geltend, der Vermittlungsgdienst führe unzulässig eine Patientenakte. Er biete die Nutzung eines elektronischen Dokumentenordners an, in den der Arzt seine Behandlungsdokumentationen ablegen solle. Das habe das Unternehmen selbst dargelegt. Ein solcher Ordner stelle nichts anderes dar als eine Patientenakte.

Das Unternehmen sei aber nicht berechtigt, eine solche zu führen – und zwar auch dann nicht, wenn der Patient bzw. die Patientin in die Speicherung seiner Daten eingewilligt habe, wie das SG betont. Bei dem Vermittlungsunternehmen handele es sich um einen zertifizierten Videodienstanbieter im Sinn des § 395 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit Anlage 31b zum BMV-Ä. Als solche beschränke sich seine Mitwirkung an der ambulanten Versorgung der gesetzlich Versicherten allein auf die technische Durchführung der Videosprechstunde. Sonstige Aufgaben oder Befugnisse hinsichtlich der Patientenbetreuung oder -steuerung sähen weder das SGB V noch die Anlagen zum BMV-Ä vor.

Daher dürfe das Unternehmen auch keine Symptome an den Arzt übermitteln, die es zuvor bei den Versicherten abgefragt habe. Zwar dürfe es Anfragenden eine Buttonliste zu Symptomen, Erkrankungen und Beschwerden auf freiwilliger Basis anbieten – allerdings nur, wenn sichergestellt sei, dass dies keinen Einfluss darauf hat, ob eine Videosprechstunde zustandekommt. Symptome an Arzt oder Ärztin weiterleiten dürfe der Anbieter nur, wenn der oder die Versicherte ausdrücklich zugestimmt habe. Auch dürfe dies erst nach Beginn der Videosprechstunde geschehen, eben weil das Unternehmen kein Leistungsträger sei.

Eine insoweit mit den Ärzten, die über die Plattform Videosprechstunden anbieten, getroffene Delegationsvereinbarung helfe nicht weiter. Diese entspreche nicht den Anforderungen, die Anlage 24 BMV-Ä an eine solche Vereinbarung stelle. Danach entscheidet der Arzt, ob und an wen er eine Leistung delegiert. Er muss die Eignung des betreffenden Mitarbeiters sicherstellen und hat ihn anzuleiten, damit er die übertragene Tätigkeit eigenständig wahrnehmen kann. Auch muss er ihn überwachen. Dass Ärzte, die Videosprechstunden über das Portal anbieten, diesen Verpflichtungen nachkommen können, schließt das SG München aus.

Monetarisierung: Vieles ist verboten

Das Gericht verbietet dem Unternehmen auch, eine bestimmte Versandapotheke auf seiner Homepage zu benennen, bei der digitale Rezepte eingelöst werden können. Ärzten und Ärztinnen sei es grundsätzlich verboten, eine bestimmte Apotheke zu empfehlen. Indem das Unternehmen eine bestimmte Apotheke benenne, stifte es die Online-Sprechstunden anbietenden Vertragsärzte dazu an, gegen diese Marktverhaltensnorm zu verstoßen.

Auch die Vergütungsregeln des Unternehmens beanstanden die Münchner Richterinnen und Richter. Es dürfe von Vertragsärzten keine Vergütung verlangen, die von dem erzielten Honorar abhängt. Die Kassenärztliche Vereinigung habe einen Anspruch darauf, dass es die Dienstleisterin unterlässt, von den Vertragsärzten eine Vergütung ihrer Leistungen als Videodienstanbieterin in Abhängigkeit von dem erzielten Honorar nur dann zu verlangen, wenn eine Videosprechstunde zustande kommt. Denn das von dem Vertragsarzt gezahlte Entgelt stelle sich als ein Entgelt für die Zuweisung von Patienten dar. Ein solches Entgelt dürften Vertragsärzte und -ärztinnen aber nicht fordern (Urteil vom 29.04.2025 - S 56 KA 325/22).

 

 

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    SG München, Arzt, Leistungen, Krankenversicherung, Vertragsarzt, Versorgung, Werbung, Beschwerde, AGB, Untersagung, Unterlassungsanspruch, Dienstleistungen, BeckRS 2025, 16492 (ausführliche Gründe)

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