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Redaktion beck-aktuell, Joachim Jahn, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung | Jul 10, 2025
Der Zoff rund um die Verfassungsrichterwahl an diesem Freitag hat sich nicht nur daran entzündet, ob die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf in den Zweiten Senat einrückt. Sondern auch daran, ob sie wie ihre Vorgängerin Doris König Vizepräsidentin wird – und später vielleicht sogar Präsidentin.
Der geplante Einzug von Frauke Brosius-Gersdorf in die "Residenz des Rechts" hat den konservativen Teil der Republik auf die Palme gebracht, seit der zuständige Ausschuss des Bundestags dem Plenum ihre Wahl empfohlen hat. Mit Äußerungen zur Entkriminalisierung der Abtreibung und der Begrenztheit der Menschenwürde, einer möglichen Corona-Impflicht und einer Paritätspflicht im Wahlrecht, ferner gegen ein Kopftuchverbot für Richterinnen und Staatsanwälte sowie für ein Gendern des Grundgesetzes lag sie teilweise nicht einmal auf der Linie des BVerfG – wenngleich ihre Kritiker die im O-Ton differenzierteren Positionen mitunter aus dem Zusammenhang gerissen haben.
In der sich ständig ändernden Nachrichtenlage aus der Politik sieht es nun so aus, dass Brosius-Gersdorf am Freitag dennoch genug Stimmen bekommt, um sich eine rote Robe überstreifen zu können. Aber die Position als Gerichtsvize läuft offenbar auf die andere von der SPD nominierte Kandidatin hinaus, die bisher weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit blieb: die Rechtsgelehrte Katrin Kaufhold. Sie gilt als Schützling des vorherigen Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle, der ihr Doktorvater war und bei dem sie auch Wissenschaftliche Mitarbeiterin war. Sie ist spezialisiert auf Klimaschutz (seit dem Karlsruher Klima-Beschluss ein besonders gewichtiges Thema der dortigen Wächter über den Gesetzgeber sowie die Fachgerichte) und Finanzmarktaufsicht. An der LMU München ist sie Frauenbeauftragte; auch war sie Mitglied der Berliner Kommission zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen.
Nur eine Tradition
Dass die Nachfolgerin oder der Nachfolger in der Vizepräsidentschaft diesen Job gleich mit übernimmt und später ganz an die Spitze aufrückt (wenn sie rechtzeitig frei wird), ist eine jahrzehntelange Tradition – mehr aber nicht. Denn festgeschrieben ist dies nirgends. Was lange durch interne Absprachen zwischen den beiden großen Volksparteien über ganze Personalpakete geklappt hat, ist mittlerweile ins Rutschen gekommen: Die FDP, an die die Union nach einer festen Formel einen Sitz abgetreten hat (und die SPD einen an die Grünen), ist nicht mehr im Parlament vertreten. Umgekehrt fordern die erstarkten Linken ein Mitspracherecht.
Geregelt ist das Verfahren in § 9 BVerfGG. Danach wählen Bundestag und Bundesrat diese beiden Amtsinhaber im Wechsel aus den zuvor gekürten Richtern. Dabei muss der Auserkorene aus dem jeweils anderen der beiden Senate stammen. Gemeint ist damit: "Das Erfordernis einer alternierenden Wahl ist nicht etwa so zu verstehen, dass Bundestag und Bundesrat immer im Wechsel die Besetzung der jeweils nächsten freiwerdenden Präsidenten- oder Vizepräsidentenstelle bestimmen", schreibt der Juraprofessor Andreas Haratsch im Gesetzeskommentar von Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Haratsch. Vielmehr wechselten sich der Bundestag und der Bundesrat sowohl bei der Wahl des Präsidenten als auch bei der Wahl des Vizepräsidenten jeweils ab. Dabei kann es durchaus dazu kommen, dass das Parlament einen von der Länderkammer beförderten Urteilsfinder befördert – und umgekehrt. So war es etwa beim jetzigen Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth, den die Volksvertreter am 22. November 2018 zum Richter und zwei Tage später die Länder zum Stellvertreter berufen haben.
Beim Parlament muss zunächst derselbe zwölfköpfige Ausschuss votieren, der auch neue Senatsmitglieder als solche wählt; dann entscheidet das Plenum ohne Aussprache und mit geheimer Stimmabgabe. Erforderlich ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit sowie die einfache Mehrheit der Anwesenden, die sogenannte Kanzlermehrheit (§ 6 BVerfGG). Beim Bundesrat muss nach dessen Geschäftsordnung ein Land einen Vorschlag einbringen; auch hier gilt sodann das Zwei-Drittel-Quorum und gibt es keine Debatte (§ 7 BVerfGG). Das Abstimmungsverhalten ist dagegen öffentlich sichtbar.