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"Kalter Entzug" der Anwaltszulassung: Warum wir eine Verfassungsänderung brauchen

Von Gastkommentar von Tom Braegelmann | Jul 10, 2025
Do­nald Trump macht in den USA vor, wie eine Re­gie­rung Mit­tel und Wege fin­den kann, um die Un­ab­hän­gig­keit der An­walt­schaft zu un­ter­gra­ben. Deutsch­land soll­te recht­zei­tig dar­aus ler­nen und sich vor­be­rei­ten, meint Tom Brae­gel­mann.

Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft ist kein Selbstzweck, sondern eine tragende Säule des Rechtsstaats. Sie sichert den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Recht und schützt sie vor staatlicher Macht. In einer Zeit, in der über die Wehrhaftigkeit unserer Verfassung diskutiert wird, muss daher auch der Schutz dieses freien Berufs in den Blick genommen werden.

Die jüngsten Entwicklungen in den USA zeigen, wohin die Reise gehen kann, wenn dieser Schutz erodiert. Zwar ist das Vorgehen einer Regierung, die Behörden anweist, mit bestimmten Kanzleien nicht mehr zu interagieren, auch dort rechtswidrig, wie Bundesrichter Richard J. Leon – ernannt von George W. Bush – im Fall der Anwaltskanzlei WilmerHale gegen das Weiße Haus (WilmerHale v. EO of the President, 1:25-cv-00917 (D.D.C. 2025)) auf beeindruckende Weise feststellte. Er erließ eine einstweilige Verfügung gegen die Executive Order von Präsident Trump und erklärte: "Der Grundstein des amerikanischen Justizsystems ist eine unabhängige Justiz und eine unabhängige Anwaltschaft, die bereit ist, unpopuläre Fälle zu übernehmen, wie abschreckend oder einschüchternd ('daunting') sie auch sein mögen."

Das Gericht stellte fest, dass dieser Versuch der Usurpation (sic!) die richterliche Funktion in schwerwiegender Weise zu beeinträchtigen droht. Ein Gericht könne sich nicht darauf verlassen, dass ihm die relevanten Fakten und Gesetze vollständig vorgetragen würden, wenn eine Kanzlei aus Angst vor Strafmaßnahmen wie der Executive Order über ihre Schulter schauen müsse ("A court cannot be confident that the facts and law relevant to a matter have been fully presented if a firm must look over its shoulder in fear of becoming the target of punitive action such as the Order"). Dies verstoße gegen das Wesen des adversatorischen Rechtssystems. 

Leider wahr: Trumps Angriffe hatten Erfolg

Die Strategie der amerikanischen Regierung ist klar: Man will Mandantinnen und Mandanten vertreiben und so eine missliebige Kanzlei indirekt wirtschaftlich schädigen. Den Versuch der amerikanischen Regierung, die Schäden als spekulativ abzutun, konterte Richter Leon mit den Worten: "Please—that dog won’t hunt!" – etwa: Das glaubt ihr doch selber nicht. Dennoch kapitulierten andere Kanzleien ohne Klage. Interessanterweise brachen diese Kanzleien nicht zusammen. Es verließen zwar manche Partnerinnen und Partner und angestellte Anwältinnen und Anwälte die Sozietäten (manche Partnerinnen und Partner übrigens anscheinend nicht wegen einer kanzleifeindlichen Executive Order, sondern weil ihre Kanzlei nicht schnell genug spurte und sie ihr Geschäft in Gefahr sahen), aber die Mandantschaft zeigte sich oft unsolidarisch und sagte den unter Druck gesetzten Kanzleien: Das ist euer Problem, "deal with it" – vulgo: Unterwerft euch dem Präsidenten, es wäre besser für euer Geschäft. So hat die rechtswidrige Druckausübung der Regierung, wie beabsichtigt, ihre Wirkung entfaltet und Fakten geschaffen.

Man könnte hoffen, dass Mandantinnen und Mandanten ihrer Kanzlei in einer solchen Lage die Treue halten. Doch das amerikanische Beispiel liefert hierzu ernüchterndes Anschauungsmaterial: Sobald eine Kanzlei den Geruch der "Seuche" an sich hat, weil die Regierung gegen sie vorgeht, ist die Kundschaft schnell weg. Die Folgerung kann daher nur sein: Wir müssen in Deutschland durch klare verfassungsrechtliche Regeln sicherstellen, dass ein solches Vorgehen gegen eine Kanzlei von vornherein unmöglich ist.

Denn wenn dies der US-Regierung möglich ist, wäre es auch einer Regierung in Deutschland auf Bundes- oder Landesebene möglich. Wir müssten nur abwarten, bis Leute an die Macht kommen, die bereit sind, solche Mittel einzusetzen. Die USA sind als einer der ältesten demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaaten der Welt und als moderne Gesellschaft ein Labor, in dem wir sehen können, was auch in einem modernen Verfassungs- und Rechtsstaat wie Deutschland an blitzartigem tiefgehendem Machtmissbrauch durch die Exekutive möglich ist. Dass sich dort Kanzleien und das Volk gegen solche Eingriffe wehren (und wehren können, es gibt noch Richter in den USA), liefert uns wertvolles Anschauungsmaterial. Wir können daraus lernen und für schlechtere Zeiten vorbauen – soweit dies eine Verfassungsänderung vermag.

Was in den USA möglich ist, könnte auch in Deutschland geschehen

Auch in Deutschland wären solche Vorgehensweisen vielfältig denkbar. Sicherlich, auf einen förmlichen Antrag oder ein Schreiben in einem Verwaltungsverfahren muss eine Aufsichtsbehörde, wie eine Landesdatenschutzbehörde, antworten (ggf. sehr langsam). Doch die anwaltliche Praxis lebt auch vom rechtmäßigen informellen Austausch, wie Vorgesprächen am Telefon oder per E-Mail, die unzählige Verfahren vermeiden. Genau hier, bei diesen normalerweise unproblematischen informellen Kontakten, könnten Kanzleien schon empfindlich getroffen und "geschnitten" werden. Oder stellen Sie sich vor: Eine Landesregierung weist intern ihre Gewerbeaufsichtsämter oder ihre Datenschutzbehörde an, mit einer bestimmten Kanzlei nicht mehr zu kooperieren. Mandantinnen und Mandanten mit dringenden Problemen im Umgang mit den Behörden würden informell gezwungen, die Kanzlei zu wechseln – obwohl alles rechtswidrig wäre. Oder eine deutsche Bundesbehörde gäbe Unternehmen zu verstehen, sie sollten "besser nicht" mit einer bestimmten Kanzlei zusammenarbeiten – aus rein politischen Gründen. Hinzu kommt die Gefahr frontaler, staatlicher Angriffe: In den USA wurden Behörden angewiesen, alle Verträge mit der betroffenen Kanzlei zu kündigen ("terminate any contract"). Obgleich dem Staat – ggf.  im Rahmen des Vergaberechts – wohl zusteht, sich eine Kanzlei auszusuchen, wird dies hier als politisches Sanktionsinstrument zur wirtschaftlichen Vernichtung missbraucht – eine besondere Gefahr für Kanzleien, die auch die öffentliche Hand in Spezialgebieten beraten.

Die BRAO bietet gegen die genannten informellen Angriffe wenig Schutz. Und sie könnte sogar als Angriffsinstrument benutzt werden: § 113 BRAO erklärt Verstöße gegen die BORA für anwaltsgerichtlich verfolgbar. Die BORA wird wiederum von der Satzungsversammlung beschlossen und vom Justizministerium genehmigt; es wäre also denkbar, dass hier kollusiv verfassungswidrige Regeln beschlossen würden. Hieraus können nach § 114 BRAO Maßnahmen bis zum Ausschluss aus der Anwaltschaft folgen. Niemand unterstellt derzeit böse Absichten, es ist ein Gedankenexperiment; doch in aufgeheizten Zeiten können sich Mehrheiten schneller als erwartet ändern. Weder können wir es dem Gesetzgeber gestatten, die BRAO rechtsanwaltsfeindlich zu ändern und den Entzug der Zulassung verfassungswidrig zu erleichtern, noch der Satzungsversammlung – selbst mit BMJV-Genehmigung –, politisch motivierte Pflichtverletzungstatbestände zu schaffen. Verfassungsrechtliche Maßstäbe sind unerlässlich. Natürlich unterstellt das niemand der jetzigen Regierung und schon gar nicht der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer, aber ich möchte nicht, dass man im Nachhinein sagt: Hätte man doch mal rechtzeitig gehandelt, denn es ist schneller gekippt, als viele dachten.

Wie ein neuer Grundgesetzartikel helfen könnte

Ein solcher verfassungsrechtlicher Schutz muss dabei funktional ansetzen. Er ist kein Plädoyer für eine stärkere Zunft der Anwaltschaft oder eine wettbewerbliche Marktschließung, sondern zielt auf die Sicherung der rechtsstaatlichen Funktion der unabhängigen Rechtsberatung als solche. Wenn der Gesetzgeber anderen Berufen – wie Steuerberaterinnen oder spezialisierten Erlaubnisinhabern nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz – die Befugnis zur unabhängigen Rechtsberatung einräumt, müssen diese in Ausübung dieser Funktion ebenso vor staatlichen Sanktionen und Drohungen geschützt sein wie die Anwaltschaft. Diese essenzielle Schutzfunktion darf nicht dazu missbraucht werden, den Zugang zum Markt oder den Wettbewerb ungerechtfertigt zu beschränken. 

Deswegen schlage ich folgende Grundgesetzänderung vor:

Art. 97a GG (neu):

(1) Die unabhängige Rechtsberatung und -vertretung ist eine wesentliche Funktion des Rechtsstaats. Sie wird durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie durch alle anderen nach Maßgabe der Gesetze und völkerrechtlicher Verträge zur unabhängigen Rechtsdienstleistung befugten Personen und deren Berufsausübungsgesellschaften als freie, nicht-staatliche Organe der Rechtspflege ausgeübt. Sie sind in ihrer Berufsausübung frei und an keine Weisungen gebunden. Ihre Unabhängigkeit dient dem Zugang zum Recht für alle und deren Schutz gegenüber staatlicher Macht.

(2) Der Entzug oder die Beschränkung der zur Berufsausübung nach Absatz 1 erforderlichen Zulassung, Registrierung oder Erlaubnis darf nur aus schwerwiegenden, in der Person oder dem beruflichen Verhalten des Berufsträgers liegenden Gründen erfolgen, die dessen Eignung zur ordnungsgemäßen Rechtspflege beeinträchtigen. Der Entzug wegen zulässiger Äußerungen, die im Rahmen der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG oder in Wahrnehmung der Mandanteninteressen im Kampf um das Recht getätigt werden, ist unzulässig. Gleiches gilt für berufsfremde Verfehlungen.

(3) Behörden und Gerichte sind verpflichtet, mit den von Verfahrensbeteiligten und Bürgerinnen und Bürgern beauftragten nach Absatz 1 zur Berufsausübung Befugten zusammenzuarbeiten. Verboten sind generelle Kontaktverbote, systematische Verweigerung der Zusammenarbeit, der Entzug von Zugangsrechten sowie jede Benachteiligung von (a) Mandantinnen und Mandanten wegen ihrer Wahl ihrer zur Berufsausübung Befugten  und/oder (b) zur Berufsausübung Befugten wegen der Wahl ihrer Mandanten oder Mandantinnen. Die Pflicht zur Offenlegung von Mandatsverhältnissen gegenüber der Exekutive ist unzulässig.

(4) Den nach Absatz 1 zur Berufsausübung Befugten darf die Kontaktaufnahme zu Behörden, Gerichten oder Verfahrensbeteiligten in Mandatsangelegenheiten nicht generell untersagt werden.

Sage keiner, das wäre in Deutschland nicht möglich

Warum braucht es eine grundgesetzliche Regelung? Dreistes, rechtswidriges Handeln der Exekutive schafft Fakten, wie die USA zeigen. Manche würden sich das vielleicht auch in Europa als "Playbook" zum Vorbild nehmen. Betroffene Kanzleien müssten sich auch hierzulande mühselig dagegen wehren. Mit einer klaren Verfassungsnorm stünde außer Frage: Solches Vorgehen ist "on its face" unzulässig. Der "kalte Entzug" wäre damit ebenso ausgeschlossen wie der formelle.

Richter Leon hob die Executive Order im öffentlichen Interesse auf, um ein "Hindernis für die freie Meinungsäußerung" zu beseitigen und den "unabhängigen und adversatorischen Charakter [des U.S.-amerkanischen] Justizsystems" zu bewahren. 

Nota bene: Manch einem mag die Kanzlei WilmerHale hierzulande als Vertreterin von Meta im viel beachteten Streit um das KI-Training vor dem OLG Köln bekannt sein. Denken Sie jetzt anders über diese Kanzlei, liebe Leserin, lieber Leser? Ich hoffe nicht. Denn eines muss klar sein: Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft ist unteilbar. Sie kann nicht nur für die Kanzleien mit den 'richtigen' Mandantinnen und Mandanten gelten, sondern muss für alle gewährleistet bleiben, die den Zugang zum Recht suchen, ob groß oder klein, reich oder arm. Sie muss für Mandantinnen und Mandanten gelten, die beliebt oder unbeliebt sind, und auch für jene, die vielen maximal unsympathisch oder übermächtig erscheinen. Auch sie benötigen eine unabhängige Vertretung, wenn Deutschland ein Rechtsstaat bleiben soll.

Tom Braegelmann ist Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York) sowie zugelassen zur Anwaltschaft beim US Supreme Court.

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