Seit einer Gesetzesänderung 2005 konnten Heimbewohner, die nach dem SGB XII (nur) Hilfe zur Pflege, aber nicht zum Lebensunterhalt erhalten, eine Wertmarke zur kostenlosen Beförderung im ÖPNV nicht komplett kostenlos erhalten. Das BSG sah darin eine planwidrige Regelungslücke.
Geklagt hatte eine in einem Pflegeheim wohnende 84-Jährige, der ein Behinderungsgrad von 90 und das Merkzeichen G zuerkannt worden waren. Sie verfügte durch eigenes Einkommen über hinreichende Mittel, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, die Heimkosten aber zahlte nach Anrechnung des noch verbleibenden, aber unzureichenden Einkommens der Sozialhilfeträger.
Im Juli 2021 besorgte sich die Frau eine Wertmarke, die nach § 228 SGB IX in den Schwerbehindertenausweis zu kleben ist, damit sie den ÖPNV kostenlos nutzen kann. Für die Ausstellung der ein Jahr gültigen Marke fallen normalerweise Kosten in Höhe von 91 Euro an, die nach § 228 Abs. 4 SGB IX aber von schwerbehinderten Menschen nicht erhoben werden sollen. Die Heimbewohnerin hatte sie gleichwohl gezahlt und verlangte nun die Erstattung des Betrags. Dem Antrag wurde nicht entsprochen, ihre Klage hatte aber letztendlich doch Erfolg.
BSG behebt planwidrige Regelungslücke
Das BSG gab, anders als noch die Vorinstanz, der Frau schließlich recht (Urteil vom 19.09.2024 - B 9 SB 2/23 R). Zwar erfasse der Befreiungstatbestand des § 228 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX seinem Wortlaut nach nur "Bezieher von den Lebensunterhalt sichernden laufenden Leistungen" nach dem SGB XII. Trotzdem genüge als Anspruchsvoraussetzung über den Wortlaut hinaus auch der Erhalt von "Hilfe zur Pflege" nach dem SGB XII, jedenfalls soweit Anspruch auf Hilfe zur Pflege in einem Alten- und Pflegeheim bestehe, so die Kasseler Bundesrichterinnen und Richter. Dies folgerten sie aus einer analogen Anwendung der Norm auf hilfebedürftige Heimbewohner, die durch den Bezug von Hilfe zur Pflege dem Existenzsicherungssystem der Sozialhilfe zugehörig sind.
Denn durch den Systemwechsel vom Bundessozialhilfegesetz zum SGB XII im Jahr 2005 sei insoweit eine planwidrige Regelungslücke im SGB IX entstanden. Diese habe zur Folge, dass die lediglich Hilfe zur Pflege beziehenden Heimbewohner aus dem Befreiungstatbestand herausgefallen sind, ohne dass ersichtlich sei, dass diese Rechtsfolge vom Gesetzgeber beabsichtigt war. Auch erschließe sich kein sachlicher Grund für den Ausschluss dieser hilfebedürftigen Heimbewohner, so das BSG abschließend (Urteil vom 19.09.2024 - B 9 SB 2/23 R).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
LSG Niedersachsen-Bremen, Kostenlose Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung bei Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII, BeckRS 2023, 45821 (Vorinstanz)
BSG, Erfolgreiche Revision gegen Antrag auf Erteilung einer kostenlose Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr, BeckRS 2011, 79221