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NVwZ Nachrichten

Hessisches Verfassungsschutzgesetz muss nachgebessert werden

Von BVerfG | Sep 17, 2024
Das Hes­si­sche Ver­fas­sungs­schutz­ge­setz ist teils ver­fas­sungs­wid­rig. Meh­re­re der Da­ten­er­he­bungs- und Über­mitt­lungs­be­fug­nis­se des hes­si­schen Ver­fas­sungs­schut­zes ver­sto­ßen laut BVerfG gegen das Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung. Hes­sen muss das Ge­setz nun bis Ende 2025 nach­bes­sern.

Das hessische Verfassungsschutzgesetz war erst im vergangenen Jahr geändert worden. Der hessische Gesetzgeber hatte damit auf das Urteil des BVerfG zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz reagiert und Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse überarbeitet.

Die Verfassungsbeschwerde, über die das BVerfG nun im Juli entschieden hat, hatten fünf Personen eingereicht: Darunter waren neben dem Regionalvorsitzenden der Humanistischen Union Franz Josef Hanke auch die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz sowie Silvia Gingold, Lehrerin in Ruhestand und Tochter des jüdischen Widerstandskämpfers Peter Gingold, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements seit ihrer Jugend unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Mit ihren Beschwerden rügten sie verschiedene Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse, darunter Regelungen zur Handyortung, zur Abfrage von Flugdaten und zum Einsatz verdeckter Ermittler. Sie hatten ihre Beschwerde angepasst, nachdem das hessische Verfassungsschutzgesetz 2023 geändert worden war. Begleitet wurden sie von der Gesellschaft für Freiheitsrecht, der Humanistischen Union, den Datenschützern Rhein Main und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. 

Die Verfassungsbeschwerde hatte – soweit sie zulässig war – überwiegend Erfolg. Mehrere der Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse des hessischen Verfassungsschutzes verstoßen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, entschied das BVerfG (Beschluss vom 17.07.2024 - 1 BvR 2133/22).

Zu niedrige Eingriffsschwellen

Unter anderem beanstandete das BVerfG die Regelung zur Handyortung in § 9 Abs. 1 Nr. 2 HVSG, die dem Verfassungsschutz eine engmaschige langandauernde Überwachung der Bewegungen im Raum erlaube, ohne eine dafür hinreichende Eingriffsschwelle vorzusehen. Da eine Handyortung einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff begründen könne, sei eine entsprechend gesteigerte Beobachtungsbedürftigkeit erforderlich. Daran fehle es.

Auch die Befugnis für "eingriffsintensive Einsätze" verdeckter Ermittler beurteilte das BVerfG mangels genügender Eingriffsschwelle als verfassungswidrig. Durch solche Einsätze könne eine vermeintliche Vertrauensbeziehung aufgebaut und dann ausgenutzt werden. Nutze aber der Staat persönliches Vertrauen aus, um Geheimhaltungsinteressen zu überwinden und Betroffene so zur Preisgabe von Informationen zu verleiten, könne das sehr schwer wiegen.

Eine nicht hinreichende Eingriffsschwelle sah das BVerfG zudem bei der Abfrage verschiedener persönlicher Flug- und Reisedaten. Zwar lieferten die abgefragten Daten nur einen ausschnittsweisen und zeitlich sehr begrenzten Einblick in das Leben der Betroffenen. Jedoch könnten sämtliche zum Zeitpunkt der Anordnung noch gespeicherten Reisebewegungen sowie alle künftigen im möglichen Anordnungszeitraum liegenden oder auch nur gebuchten Reisebewegungen abgefragt werden. Eine zeitliche Beschränkung der Anordnung sei offensichtlich nicht vorgesehen.

Defizite bei Regelungen zur Datenübermittlung

Schließlich rügte das BVerfG auch die Regelung in § 20a HVSG zur Übermittlung von nachrichtendienstlich ermittelten persönlichen Daten an Behörden der Strafverfolgung bei einem Verdacht besonders schwerer Straftaten als teils verfassungswidrig. Den dort legaldefinierten besonders schweren Straftaten fehle teils das verfassungsrechtlich erforderliche Gewicht.

Das BVerfG moniert ferner die Regelung in § 20b HVSG zur Datenübermittlung an sonstige inländische öffentliche Stellen. Da die Befugnis eine Datenübermittlung auch an öffentliche Stellen mit operativen Anschlussbefugnissen zulasse, sei eine mindestens konkretisierte Gefahr erforderlich, was die Regelung nicht vorsehe.

Die beanstandeten Regelungen gelten mit Maßgaben bis Ende 2025 fort - mit Ausnahme von § 20a S. 1 HVSG, den das BVerfG für nichtig erklärt hat, soweit er auf § 20a S. 3 HVSG Bezug nimmt. Bis dahin hat der hessische Gesetzgeber Zeit, das Gesetz nachzubessern. Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU), einst höchster Richter seines Landes, erklärte, der Gerichtsbeschluss bringe Klarheit. Nun würden in Hessen bald Neuregelungen auf den Weg gebracht, die wie vom BVerfG vorgegeben bis Ende 2025 in Kraft treten sollen.

"Der lange Atem für die Grundrechte lohnt sich. Das Bundesverfassungsgericht weist den hessischen Verfassungsschutz in die Schranken und festigt damit seine grundrechtsfreundliche Rechtsprechung zu den Geheimdiensten. Der Hessische Verfassungsschutz darf nicht einfach nach Belieben verdeckte Ermittler*innen losschicken und Handys orten. Jetzt muss der hessische Gesetzgeber nachjustieren", betont David Werdermann, Verfahrenskoordinator bei der GFF. "Die hessische Landesregierung muss nachsitzen, weil sie schlampig mit elementaren Bürgerrechten umgegangen ist. Das ist leider nicht die erste Schlappe, die die Landesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten hat", sagte Hanke (Beschluss vom 17.07.2024 - 1 BvR 2133/22).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

Werner-Kappler, Neue Eingriffsschwellen der Verfassungsschutzbehörden, NVwZ-Beilage 2022, 63

BVerfG, Teilweise Verfassungswidrigkeit des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, NJW 2022, 1583

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