Der Spiegel hatte in einem Print-Artikel über die Schweriner OB-Wahl der Ausgabe Nr. 25 vom 17.6.2023 sowie auf seiner Homepage ein Foto veröffentlicht, das eine in Trachten gekleidete Kindergruppe zeigte, die an einem AfD-Wahlstand vorbeilief. Die Kinder schauten dabei von der Kamera weg. In dem Artikel hieß es unter anderem: "Eine Kindergruppe in Tracht läuft vorbei, auf dem Weg zu einer kleinen Tanzaufführung in einem der nahe gelegenen Dreiviertel-Hosen. Die Blumenhändlerin neben dem Stand erklärt ganz ungefragt, dass sie die A. unterstützt." Mit dem AfD-Wahlkampf hatten sie nichts zu tun. Eine Einwilligung der Eltern lag nicht vor. Das Nachrichtenmagazin war der Ansicht, dass es sich bei der Aufnahme um ein Bildnis der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handele. Der Beitrag befasse sich mit dem Bürgermeisterschaftswahlkampf der AfD in Schwerin und sei mit dem Bild eines AfD-Wahlkampfstandes in einer authentischen Straßensituation kontextgerecht illustriert worden. Nachdem der Verlag erfolglos abgemahnt wurde und die Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung verweigerte, erhoben zwei der heute siebenjährigen Kindergartenkinder, die auf den Fotos zu erkennen waren, Unterlassungsklage – mit Erfolg.
Die für das Presserecht zuständige 24. Zivilkammer des LG Hamburg verurteilte das Hamburger Verlagshaus, es unter anderem zu unterlassen, die Aufnahme mit den beiden Kindern (in Druck und online) zu veröffentlichen (Urteil vom 26.4.2024 – 324 O 373/23). Den Abgelichteten stehe ein Unterlassungsanspruch gegen die Veröffentlichung der Fotos aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz (KUG) zu. Für das LG waren die Kinder zweifelsfrei auf dem Bild erkennbar; ihr Schutz genieße Vorrang, da sie nur zufällig am Stand vorbeigekommen seien.
Gründe, aus denen die Veröffentlichung des Bildnisses auch ohne Einwilligung zulässig wäre, bestehen nicht, so das LG weiter. Insbesondere handele es sich nicht um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG. Zwar könne zugunsten des Verlags im Rahmen der Abwägung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG unterstellt werden, dass das Bildnis von großem gesellschaftlichem Interesse sei. Da ein anzuerkennendes Informationsbedürfnis daran bestehe, wie sich der Wahlkampf einer politischen Partei "auf der Straße" abspiele. Dennoch überwögen diese schutzwürdigen Interessen des Verlags nicht gegenüber denen der minderjährigen Kinder.
Vorrangige Schutzinteressen der Kinder
"Heranwachsende, Jugendliche und Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen, (…)," entschieden die Richterinnen und Richter. Zwar haben sich die beiden Kinder hier, als sie vor dem Wahlkampfstand der AfD fotografiert wurden, im öffentlichen Raum bewegt; sich dabei aber nicht der Öffentlichkeit zugewandt, da sie lediglich auf dem Weg zu einer Aufführung waren. Sie hätten daher auch nicht damit rechnen müssen, Bestandteil einer medialen Berichterstattung zu werden. Der Umstand, dass ihre Erkennbarkeit auf dem Bild eingeschränkt war, ändere an dem Ergebnis der Abwägung nichts (Urteil vom 26.04.2024 - 324 O 373/23).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BGH, Identifizierende Online-Bildberichterstattung über einen Polizisten, MMR 2023, 283 (mit Anmerkung von Steinthaler, GRUR-Prax 2023, 103)
Sajuntz, Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts im Jahr 2022, NJW 2023, 569
BVerfG, Verfassungswidrige Untersagung der Wortberichterstattung über Verfehlungen jugendlicher Prominenter – Fall Ochsenknecht, NJW 2012, 1500 (mit Anmerkung von Stender-Vorwachs, GRUR-Prax 2012, 286)
BGH, Bildberichterstattung über minderjährige Kinder Prominenter, NJW 2010, 1454 (mit Anmerkung von Feyock, GRUR-Prax 2009, 59)