Die Versammlungsfreiheit als das Recht der Bürgerinnen und Bürger, sich kollektiv zu politischen Fragen zu Wort zu melden, ist essenzielles Element einer lebendigen Demokratie. Was aber ist eine Versammlung? In den letzten Jahrzehnten sind zu den klassischen Kundgebungen neuartige Äußerungsformen gekommen, die immer wieder Fragen nach der Reichweite der Versammlungsfreiheit ausgelöst haben. Dabei betont die Rechtsprechung, dass das Grundrecht nicht auf bestimmte Formen festgelegt ist, wie sich zuletzt etwa bei "Klimacamps" gezeigt hat.
Bei Blockadeaktionen wie jener am Rande eines AfD-Parteitags, über die das BVerwG in seinem Urteil vom Mittwoch (Urteil vom 27.03.2024 – Az. 6 C 1.22) zu befinden hatte, stellen sich aber besondere Probleme: Geht es überhaupt um kollektive Meinungsäußerung oder nur darum, die Durchsetzung eigener Forderungen zu erzwingen? Zwar hat die Rechtsprechung schon seit den Sitzblockaden der 1980er-Jahre anerkannt, dass Blockadeaktionen nicht von vornherein aus dem Schutz der Versammlungsfreiheit herausfallen. Allerdings hat sich eine Rechtsprechungslinie herausgebildet, wonach Blockaden, die im Schwerpunkt nicht auf Kommunikation, sondern auf Realwirkungen angelegt sind, keine Versammlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sind. Auf dieser Linie hatte auch der VGH Mannheim entschieden, dass die Blockade der Zufahrtsstraße zum AfD-Parteitag trotz Meinungsäußerungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht unter den Versammlungsbegriff falle. Dem ist das BVerwG nun entgegengetreten. Während die Entscheidung für unfriedliche Blockaden keine Änderungen bringt, wird der Schutz friedlicher Blockaden gestärkt.
Reine Verhinderung oder symbolischer Protest?
Von Art. 8 Abs. 1 GG sind Handlungen geschützt, wenn sie eine Versammlung darstellen und darüber hinaus friedlich sind. Die erste Entscheidung des BVerfG zu Sitzblockaden 1986 hatte diese noch selbstverständlich als Versammlung qualifiziert und lediglich die Friedlichkeit thematisiert. In einer Entscheidung von 2001 hielt es das BVerfG dagegen für möglich, dass bestimmte Blockaden aus dem Versammlungsbegriff herausfallen. Wenn für den Schutz von Versammlungen nicht beliebige gemeinsame Zwecke genügen, sondern nur die kollektive Meinungsäußerung, stellt sich für Blockaden das Problem, ob es überhaupt um Kommunikation geht.
In einer der beiden damals zu beurteilenden Blockaden, einer Autobahnblockade von Sinti und Roma nahe der Schweizer Grenze, sah das BVerfG in der Tat keine Kommunikation. Die Teilnehmer hätten lediglich bezweckt, ein Gespräch mit dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge in Genf selbsthilfeartig zu erzwingen. Dagegen beurteilte das Gericht eine Aktion von Atomkraftgegnern, die sich am Werkstor einer geplanten Wiederaufbereitungsanlage angekettet und damit eine Unterbrechung der Bauarbeiten bewirkt hatten, als Versammlung. Den Demonstranten sei es um öffentlichkeitswirksamen Protest gegangen; hierfür sei die symbolische zeitweilige Einstellung der Bauarbeiten nur ein Mittel gewesen.
Die vom BVerfG begründete Unterscheidung zweier Typen von Blockaden lässt sich mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auf die Begriffe der demonstrativen Blockade und der Verhinderungsblockade bringen. Wenn symbolischer Protest im Mittelpunkt steht, ist die Aktion – sofern sie friedlich ist, was erst bei offenen Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen entfällt – von Art. 8 Abs. 1 GG geschützt. Wenn es dagegen nur darum geht, eigene Forderungen selbsthilfeartig durchzusetzen, greift der Schutz nicht.
Blockadeversammlungen als Grenzfall
Natürlich ist auch der Schutz demonstrativer Blockaden nicht absolut. Er bewirkt aber, dass Maßnahmen nach allgemeinem Polizeirecht – wie etwa eine Ingewahrsamnahme – nur erfolgen dürfen, wenn die Versammlung zuvor aufgelöst worden ist. Dabei ist die Auflösungsverfügung selbst an strenge Voraussetzungen geknüpft: Sie muss zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich und verhältnismäßig sein. Hier ist stets zu prüfen, ob nicht mildere Mittel wie beschränkende Auflagen oder der Ausschluss einzelner Teilnehmer genügt. Zudem ist das besondere Gewicht der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen, wonach nur geringfügige Lästigkeiten nicht genügen, um eine Versammlung zu unterbinden.
Im Ausgangspunkt ist es konsequent, Handlungen, bei denen es nicht um Kommunikation geht, aus dem Versammlungsbegriff auszuschließen. Die Abgrenzung zwischen demonstrativen Blockaden und Verhinderungsblockaden bereitet jedoch Schwierigkeiten. Die vom BVerfG im Jahr 2001 beurteilte Autobahnblockade ist eine Sonderkonstellation, weil hier nach den Feststellungen der Instanzgerichte keinerlei kommunikative Botschaft ausgesendet werden sollte. Bei vielen anderen Blockaden lässt sich dagegen sowohl ein kommunikatives als auch ein performatives Element feststellen. Schon die Auffassung des BVerfG zum Anketten von Atomkraftgegnern am Werkstor stieß innerhalb des Senats auf den erbitterten Widerstand der Richterin Haas, die meinte, die Protestierenden hätten die geistige Auseinandersetzung verlassen und Gewalt ausgeübt, was grundrechtlich nicht geschützt sein könne.
Blockaden zeichnen sich nun gerade dadurch aus, dass sie spürbare Realwirkungen haben. Das schließt aber nicht aus, dass auch ein Symbol gesetzt wird. Regelmäßig treffen kollektive Meinungsäußerung und Realwirkungen zusammen. Das zeigt sich deutlich in dem nun vom BVerwG entschiedenen Fall: Die Demonstranten brachten mit Sprechchören und Transparenten ihre Ablehnung der AfD zum Ausdruck. Zugleich war die Blockade des Kreisverkehrs darauf angelegt, die Zufahrt zum AfD-Parteitag zu verhindern. Für solche Gemengelagen wurde in der Literatur dafür plädiert, von einer geschützten Versammlung auszugehen, sobald Meinungen geäußert werden. Die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung war hier bisher weniger versammlungsfreundlich und grenzte stattdessen nach dem Schwerpunkt der Handlungsmotivation ab. Dem folgte auch der VGH Mannheim als Vorinstanz des BVerwG: Da die Teilnehmer es primär darauf angelegt hätten, den AfD-Parteitag mit unfriedlichen Mitteln zu verhindern, liege keine Versammlung vor. Meinungsäußerungen, die bloß bei Gelegenheit einer Verhinderungsblockade stattfänden, könnten keine Versammlung begründen.
BVerwG: Wenn Meinungen geäußert werden, ist es eine Versammlung
Das BVerwG teilt diese Auffassung nicht. Es lässt vielmehr für das Vorliegen einer Versammlung genügen, dass mit Transparenten und Sprechchören kollektiv Meinungen geäußert wurden. Damit dürfte das BVerwG nicht nur der Entscheidung des VGH, sondern der ganzen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechungslinie zu Verhinderungsblockaden entgegentreten. Wie der Senat das im Einzelnen begründet, ist aus der Pressemitteilung noch nicht ersichtlich. Zu vermuten ist aber, dass er dem zentralen Einwand in der Literatur gefolgt ist: Sobald kollektiv Meinungen geäußert werden, liegt eine Versammlung vor, auch wenn sie zusätzlich auf Realwirkungen angelegt ist. Dass Verhinderungsblockaden im Angesicht der Staatsgewalt mehr als ein Symbol sein können, ist in aller Regel unrealistisch.
Im Ergebnis stand die Blockadeaktion gegen den AfD-Parteitag aber auch nach Auffassung des BVerwG nicht unter dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, da sie u.a. wegen des Einsatzes von Pyrotechnik gegen die Polizei als unfriedlich anzusehen war. Die Neuausrichtung des BVerwG führt also dazu, dass das Kriterium der Friedlichkeit an Bedeutung gewinnt. Für friedliche Blockadeaktionen wie insbesondere das vieldiskutierte "Klimakleben" dürften mit der Entscheidung letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass sie von der Versammlungsfreiheit geschützt sind.
"Polizeifestigkeit" gilt nicht bei unfriedlichen Versammlungen
Für die einfach-rechtliche Ebene ergibt sich mit der Annahme einer unfriedlichen Versammlung die Frage, ob auch in dieser Konstellation der Vorrang des Versammlungsrechts gegen-über dem Polizeirecht greift. Die Eingangsinstanz, das VG Sigmaringen, welches die Aktion ebenfalls dem Schutz von Art. 8 Abs. 1 GG unterstellte, war der Auffassung, dass das Ver-sammlungsrecht auch für unfriedliche Versammlungen gelte und alle Maßnahmen nach dem Polizeigesetz mangels Auflösung der Versammlung rechtswidrig seien. Demgegenüber urteilt das BVerwG, dass bei einer von Anfang an erkennbar unfriedlichen Versammlung ohne vorherige Auflösung unmittelbar nach Polizeirecht vorgegangen werden darf. Auch insoweit überzeugt die Entscheidung: Das besondere Regime des Versammlungsrechts realisiert den Schutz der Versammlungsfreiheit. Es ist konsequent, jedenfalls in eindeutigen Fällen verfassungsrechtlich nicht geschützte unfriedliche Versammlungen davon auszunehmen.
Auch bei Maßnahmen gegen die Teilnehmer einer unfriedlichen Versammlung müssen aber die Voraussetzungen der Polizeigesetze im Einzelnen vorliegen. Insoweit hatte schon der VGH die Durchführung des Gewahrsams, bei der den Betroffenen Toilettengänge und Trinkwasser verweigert worden waren, für rechtswidrig erklärt. Das BVerwG hat nun zusätzlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Fortdauer des Gewahrsams über fast den ganzen Tag geäußert und die besonderen Sachaufklärungspflichten bei Freiheitsentziehungen betont. Mit diesem Teilaspekt hat sich nun der VGH erneut zu befassen (Urteil vom 27.03.2024 - 6 C 1.22).
Der Autor Dr. Jakob Hohnerlein ist Senior Researcher in der Abteilung für Öffentliches Recht am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht.