Zivilgerichte müssen Verfahren von Autoherstellern vor den Verwaltungsgerichten gegen das Kraftfahrtbundesamt (KBA) nicht abwarten, wenn Käufer von manipulierten Dieselfahrzeugen klagen. Das hat der BGH entschieden und eine "Vorgreiflichkeit" des verwaltungsrechtlichen Verfahrens mangels Identität der Beteiligten verneint. Das OLG Dresden hatte das Verfahren ausgesetzt.
Ein Benzfahrer war mit der Aussetzung seines Rechtsstreits im Prozess gegen die Herstellerin seines abgasmanipulierten Wagens des Typs Mercedes-Benz Vito beim OLG Dresden nicht einverstanden. Dem ging voraus, dass das KBA den Rückruf von Fahrzeugen angeordnet hatte, darunter auch sein Auto. Das ließ der Hersteller nicht auf sich sitzen und erhob Widerspruch sowie Klage beim Verwaltungsgericht Schleswig (Az.: 3 A 52/21). Die sächsischen Oberlandesrichter sahen sich veranlasst, das zivilrechtliche Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen – und zwar so lange, bis das Verfahren der Autoproduzentin gegen die Behörde beim VG abgeschlossen ist. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren sei für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits vorgreiflich, so die Begründung. Denn der Spruch des VG darüber, ob die Steuerung des SCR-Systems eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, sei für die Zivilgerichte bindend.
"Keine Vorgreiflichkeit"
Der für Dieselfälle eingerichtete Hilfssenat in Karlsruhe gab der Rechtsbeschwerde des Mannes statt (BGH, Beschluss vom 08.08.2023 – VIa ZB 13/21) und verneinte eine Vorgreiflichkeit der zu erwartenden Entscheidung des VG Schleswig (Az.: 3 A 52/21). Denn über die maßgebliche Frage der Rechtmäßigkeit der Abgas-Steuerung werde dort gar nicht mit Rechtskraftwirkung entschieden. Zwar entfalte ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil nach § 121 VwGO Bindungswirkung in Folgeverfahren auch bei fehlender Identität der Streitgegenstände. Hier fehle es aber bereits an der von § 121 VwGO vorausgesetzten Identität der Beteiligten.
Der Mercedes-Fahrer sei weder am verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligt, noch unterfalle er der Regelung des § 121 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 65 Abs. 3 VwGO (Beiladung Dritter), betonen die Karlsruher Richter. In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren könne allenfalls eine rechtskräftige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen KBA-Bescheide ergehen. Selbst wenn das VG seine Entscheidung über die Anfechtungsklage des Konzerns auf die (Un-)Zulässigkeit der Steuerung stützen sollte, läge darin lediglich ein nicht von der Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO umfasstes Begründungselement. Dies gelte erst recht für die vom OLG als entscheidungserheblich angesehenen technischen Einzelheiten der Steuerung.
Keine Vorfestlegung zum Schadensersatz
Eine Vorgreiflichkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ergebe sich, so der BGH, auch nicht aus der Tatbestandswirkung der Verwaltungsakte. Denn keiner von ihnen entfalte eine derartige Wirkung hinsichtlich der vom OLG zu beurteilenden Ansprüche des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB (Beschl. v. 08.08.2023 - VIa ZB 13/21).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BGH, Keine Aussetzung von Dieselverfahren wegen Anfechtungsklage gegen nachträgliche Anordnung von Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung, BeckRS 2023, 20535
Müller, Herstellerhaftung wegen der Verletzung von Kfz-Zulassungsvorschriften, BB 2023, 1795
Lerch/Valdini, Herausforderungen an den Zivilprozess bei Massenverfahren – Ein Blick aus der anwaltlichen Praxis, NJW 2023, 420
BGH, Grenzen der Aussetzung bei Vorgreiflichkeit, NJW-RR 2019, 1212 (mit Anmerkung von Toussaint in FD-ZVR 2019, 419064)