Auch wenn ein EU-Staat vorübergehend wieder an seinen Binnengrenzen kontrolliert, darf er einen dabei aufgegriffenen illegal eingereisten Drittstaatsangehörigen nicht unmittelbar abschieben. Laut EuGH muss er trotzdem die Rückführungsrichtlinie beachten und zunächst eine Rückkehrentscheidung erlassen.
Hintergrund der Entscheidung ist eine französische Regelung: Danach können die Behörden Drittstaatsangehörigen die Einreise an Binnengrenzen verweigern, an denen vorübergehend wieder wegen einer "ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit" Frankreichs kontrolliert wird. Dagegen haben mehrere Vereinigungen geklagt, darunter Anwälte für Ausländerrecht. Sie rügen einen Verstoß gegen die Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG, nach der gegen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung mit Fristsetzung für eine freiwillige Ausreise ergehen müsse - die zwangsweise Abschiebung sei nur letztes Mittel.
Rückführungsrichtlinie muss eingehalten werden
Laut Europäischem Gerichtshof kann hier zwar die Einreise nach dem Schengener Grenzkodex verweigert werden, die Rückführungsrichtlinie müsse aber dennoch eingehalten werden – auch wenn die Einreiseverweigerung dadurch wirkungslos bleibe. Die Richtlinie sei immer dann anzuwenden, wenn ein Drittstaatsangehöriger illegal eingereist sei – mithin auch, wenn er an einem Grenzübergang aufgegriffen wird, der im Hoheitsgebiet des kontrollierenden EU-Staats liege.
Etwas anderes gelte zwar an den EU-Außengrenzen; hier könnten illegal einreisende Drittstaatsangehörige ausnahmsweise vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausgenommen werden. Dies gelte aber nicht an Binnengrenzen – auch nicht, wenn dort wieder kontrolliert wird. Die Entscheidung liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 21.09.2023 - C-143/22).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
EuGH, Vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an Binnengrenzen, NVwZ 2019, 947