Ein Gericht muss erhebliches Parteivorbringen beachten, auch wenn es nur um eine geringe Nebenforderung geht. Das Bundesverfassungsgericht gab einer Verfassungsbeschwerde statt, in der es um die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten ging. Die bloße Leerformel, das Gericht habe den Vortrag zur Kenntnis genommen, bewerte ihn aber anders, genüge nicht, wenn die beklagte Schuldnerin die Hauptforderung von Anfang an bestritten hatte.
Vertragsschluss bereut und angefochten
Eine Frau schloss in einem Mobilfunkladen einen Vertrag ab, der umfangreiche Leistungen beinhaltete. Als sie wieder daheim war, fühlte sie sich schlecht beraten, weil sie die Leistungen eigentlich gar nicht brauchte. Sie focht ihre Willenserklärung an, erklärte den Vertrag für sittenwidrig und schickte die SIM-Karte zurück. Das Telekommunikationsunternehmen hingegen bestand auf der Erfüllung des Vertrags. Die Kundin betonte schriftlich mehrfach, dass sie die Forderung für unberechtigt halte und diese deshalb nicht begleichen werde.
Trotzdem beauftragte die Mobilfunkanbieterin eine Inkassofirma mit der Eintreibung und klagte später die Forderung mitsamt der Inkassokosten als Verzugskosten in Höhe von 35,10 Euro erfolgreich vor dem Amtsgericht Sinzig ein. Der Streitgegenstand betrug weniger als 600 Euro und das AG ließ die Berufung nicht zu. Eine Anhörungsrüge der Frau blieb ebenfalls erfolglos, obwohl sie ausdrücklich darlegte, dass sich das Gericht nicht mit ihrem Vortrag hinsichtlich der fehlenden Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten bei Streitigkeit der Hauptforderung auseinandergesetzt habe. Erst das BVerfG gab ihr Recht.
Urteil des AG deutet auf "generelle Vernachlässigung der Grundrechte" hin
Der 2. Senat hob die Entscheidung des AG auf, soweit dieses die Berufung hinsichtlich der Inkassokosten nicht zugelassen hat. Das Gericht habe die beklagte Kundin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es ihren Vortrag ignoriert habe.
Die knappen Begründungen im Urteil und in der Zurückweisung der Anhörungsrüge deuteten "auf eine generelle Vernachlässigung der Grundrechte" hin und seien geeignet, juristische Laien von der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche abzuhalten. Einen Parteivortrag, der eindeutig erheblich für die gerichtliche Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Inkassoforderung ist, muss das Gerichte laut BVerfG zur Kenntnis nehmen und erwägen. Da genüge es nicht, dem Provider pauschal die Inkassokosten als Verzugskosten zuzusprechen. Denn schließlich seien diese Kosten nach obergerichtlicher Rechtsprechung nur bei unbestrittenen Forderungen zu erstatten. Dieser Fehler ist laut den Karlsruher Richtern bei der Anhörungsrüge noch vertieft worden, indem das AG ausgeführt habe, es habe den Vortrag zur Kenntnis genommen, bewerte diesen aber anders als die Kundin. Das AG muss nun erneut über die Inkassokosten entscheiden (Beschl. v. 07.06.2023 - 2 BvR 2139/21).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
- BVerfG, Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wegen fehlender Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH bei Verneinung der Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten, WM 2023, 1270
- BVerfG, Verletzung des Willkürverbots durch Nichtzulassung der Berufung (§ 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 ZPO), BeckRS 2020, 11733
- Jäckle, Vorgerichtliche Kosten eines Inkassounternehmens als Verzugsschaden, NJW 2013, 1393