Ein Gericht muss sich mit einer relevanten Entscheidung des Bundesgerichtshofs auseinandersetzen, auf die sich eine Partei mehrfach ausdrücklich berufen und deren Erwägungen sie sich zu eigen gemacht hat. Andernfalls verletzt es dem Bundesverfassungsgericht zufolge den Anspruch auf rechtliches Gehör. Hintergrund war ein Streit um die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten.
Inkassokosten erstattbar?
Ein international tätiges Unternehmen mit Sitz in den USA erhob Verfassungsbeschwerde gegen ein klageabweisendes Urteil des AG Bremen über die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten. Im Ausgangsverfahren hatte sie eine deutsche Firma auf Rückzahlung eines Kaufpreises von 2.355 Euro sowie Mahnkosten in Höhe von 5 Euro (Hauptforderung) sowie Erstattung der Kosten für ein von ihr beauftragtes Inkassounternehmen (Nebenforderung) verklagt, da diese bereits bezahlte Waren nicht lieferte und auf Mahnungen nicht reagierte.
AG übergeht Rechtsprechungshinweis
Das AG Bremen verurteilte die Beklagte im Mai 2020 zunächst teilweise, nachdem diese die Hauptforderung anerkannt hatte. Im Dezember 2020 wies es die Klage hinsichtlich der Inkassokosten ab. Diese seien nicht erstattungsfähig, worauf es auch bereits hingewiesen habe. Jedenfalls bei einfach gelagerten Sachverhalten wie hier falle dies in ihren Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich. Es sei ihr zumutbar, nach erfolgloser einfacher Mahnung selbst das gerichtliche Mahnverfahren einzuleiten oder von vornherein einen Anwalt mit der gerichtlichen Durchsetzung der Forderung zu beauftragen. Die Berufung ließ das AG nicht zu. Die Anhörungsrüge war erfolglos. Mit der im Verfahren von der Firma mehrfach erwähnten Entscheidung des BGH vom 17.09.2015 (NJW 2015, 3793) setzte sich das Gericht in keiner Weise auseinander. Die Firma erhob erfolgreich die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG.
Verletzung rechtlichen Gehörs
Laut BVerfG verletzte das AG das Unternehmen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, indem es sich mit der von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen Rechtsprechung nicht auseinandergesetzt hat. Die Ausführungen des AG zur Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Inkassokosten ließen jegliche Auseinandersetzung mit der Entscheidung des BGH vermissen, auf die sich die Beschwerdeführerin mehrfach ausdrücklich berufen und deren Erwägungen sie sich zu eigen gemacht hatte. Danach sei auch in rechtlich einfach gelagerten Fällen wie hier regelmäßig die Beauftragung eines Anwalts zweckmäßig und erforderlich, wenn der Schuldner in Zahlungsverzug gerate. Die dortigen Erwägungen könnten auf die Beauftragung eines Inkassobetriebs übertragbar sein. Das BVerfG verwies die Sache an das AG Bremen zurück, um darüber zu entscheiden, ob die Inkassokosten erstattungsfähig sind oder nicht (Beschl. v. 28.04.2023 - 2 BvR 924/21).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
- BVerfG, Heilung eines Gehörsverstoßes im Anhörungsrügeverfahren, BeckRS 2019, 16042
- BGH, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten bei einfach gelagertem Fall, NJW 2015, 3793 (mit Anmerkung von Hunecke, NJW 2015, 3745 )
- BVerfG, Zulassung der Berufung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, NJOZ 2012, 996
- Bergen, Das rechtliche Gehör, BWNotZ 1996, 137
- BVerfG, Verletzung des Willkürverbots durch Nichtzulassung der Berufung (§ 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 ZPO), BeckRS 2020, 11733 (zu Inkassokosten)