Wer eine Rechtsmittelfrist versäumt, weil er am Tag des Fristablaufs erkrankt ist, kann Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte erneut, dass dem Betroffenen nicht vorgeworfen werden darf, dass er die Frist bis zum letzten Tag ausschöpfen wollte. Die Verweigerung der Wiedereinsetzung verletze ansonsten den Betroffenen in seinen Rechten auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör.
Kurz vor Ablauf der Einspruchsfrist krank geworden
Ein Mann bekam vom Jobcenter einen Bußgeldbescheid über 500 Euro, das ihm vorwarf, seinen Mitteilungspflichten gegenüber der Behörde nicht nachzugekommen zu sein. Während der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist beschloss er, Einspruch einzulegen. Am Tag des Fristablaufs wurde er verhandlungsunfähig krank und war nicht in der Lage, seinen Entschluss umzusetzen. Fünf Tage nach seiner Genesung holte er den Einspruch nach und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Behörde lehnte ab, weil sie fand, er hätte ja vor seiner Krankheit den Einspruch einlegen können. Dieses Argument machte sich auch das Amtsgericht Diepholz in seiner gerichtlichen Entscheidung zu eigen. Es monierte weiter, dass der Betroffene den Wiedereinsetzungsantrag erst fünf Tage nach seiner Genesung gestellt hatte. Nach Ausschöpfen des Rechtswegs wandte sich der Mann hilfesuchend an das Bundesverfassungsgericht – mit Erfolg.
Gerichtliche Entscheidung verletzte das rechtliche Gehör
Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts für zulässig und offensichtlich begründet: Der Mann sei in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden. Die fehlerhafte Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe seine effektive Rechtsverfolgung und damit die Möglichkeit, seine Einwände gegen den Bußgeldbescheid wirksam vorzubringen, verhindert. Es ist den Karlsruher Richtern zufolge zwar zulässig, Fristen zu setzen, um rechtliche Einwände gegen den Bescheid vorzubringen. Diese Fristen dürften aber bis zuletzt ausgenutzt werden. Dass ein Betroffener vor dem Tag des Fristablaufs nicht tätig geworden ist, darf ihm laut den Verfassungsrichtern nicht vorgeworfen werden.
Nach Wegfall des Hindernisses eine Woche Zeit
Auch der Vorwurf, er habe erst fünf Tage nach seiner Genesung den Einspruch eingelegt, ist dem 2. Senat zufolge unberechtigt: Nach § 52 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO habe ein Betroffener nach der schuldlosen Säumnis eine Woche Zeit, um den Einspruch nachzuholen. Das BVerfG wies damit auch den Vorwurf, er habe nicht unverzüglich nach Wegfall der Erkrankung gehandelt, zurück. Die Verfassungsrichter hoben die Entscheidung des Amtsgerichts auf und verwiesen die Sache zurück.
Verfassungsbeschwerde gegen abschlägige Entscheidung der Anhörungsrüge
Die Verfassungsrichter nahmen die Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung über die Anhörungsrüge des Mannes hingegen nicht zur Entscheidung an. Diese sei nicht zulässig, weil diese keine über die erste gerichtliche Entscheidung hinausgehende Beschwer entfalte. Sie habe den fehlerhaften Beschluss lediglich perpetuiert. Anders wäre es den Karlsruher Richtern zufolge nur gewesen, wenn das Gericht die Anhörungsrüge bereits als unzulässig abgewiesen hätte. Dann hätte es den Zugang zur Anhörungsrüge schon verkürzt und damit eine zusätzliche Beschwer geschaffen (BVerfG, Beschluss vom 14.02.2023 - 2 BvR 653/20).
Weiterführende LinksAus der Datenbank beck-online- BGH, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, BeckRS 2014, 7852
- BVerfG, Anhörungsrüge bei Zwischenentscheidungen, NZA 2008, 1201
- OLG Düsseldorf, Wiedereinsetzung gegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung, NStZ 1998, 637
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