chb_rsw_logo_mit_welle_trans
Banner Jubiläumslogo

IGH-Gutachten zum Klimaschutz: Starke Stimme, altbekannter Inhalt

Prof. Dr. Markus P. Beham
Mit viel Span­nung war das Rechts­gut­ach­ten des höchs­ten UN-Ge­richts zu staat­li­chen Pflich­ten im Kampf gegen den Kli­ma­wan­del er­war­tet wor­den. Was der Ge­richts­hof nun vor­ge­legt hat, ist nicht re­vo­lu­tio­när, kann aber noch wich­tig wer­den, meint Mar­kus P. Beham.

Mit seinem Rechtsgutachten vom gestrigen Mittwoch zu staatlichen Verpflichtungen betreffend den Klimawandel (Obligations of States in respect of Climate Change) hat der IGH einstimmig die existentielle Bedrohung durch den menschengemachten Klimawandel betont. In seinen Ausführungen bewegt sich der Gerichtshof jedoch rechtlich in bekannten Bahnen und schlägt damit einen Mittelweg in der Suche nach effektivem Rechtsschutz in Klimafragen ein.

Zwei Fragen für den IGH hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Frühjahr 2023 formuliert: 1. Was sind die völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten, den Schutz des Klimas und anderer Teile der Umwelt vor anthropogenen Treibhausgasemissionen gegenüber Staaten sowie gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu gewährleisten? 2. Welche Rechtsfolgen ergeben sich für Staaten, wenn diese durch ihr Tun und Unterlassen wesentlichen Schaden am Klimasystem und anderen Teilen der Umwelt verursachen? Dabei zielte die zweite Frage explizit auch auf besondere Verpflichtungen gegenüber kleinen Inselentwicklungsländern ("small island developing States") ab, die gemeinhin als besonders vom Klimawandel betroffen gelten, obwohl sie selbst wenig dazu beitragen.

Vielbeachteter Höhepunkt im Streben nach Rechtsklarheit in Klimafragen

Das gestern um Punkt 15 Uhr im prall gefüllten Sitzungssaal des IGH im Friedenspalast in Den Haag verkündete Rechtsgutachten war mit besonderer Spannung erwartet worden, nachdem bereits die Rechtsgutachten zu ähnlich gelagerten Anträgen des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des internationalen Seegerichtshofs ergangen waren. Schließlich nimmt der IGH als Hauptorgan der Rechtsprechung der Vereinten Nationen eine herausragende Stellung im Gefüge internationaler Gerichte und Tribunale ein, zumal er als "Weltgerichtshof" das einzige internationale Gericht mit grundsätzlich weltweiter Zuständigkeit in sämtlichen das Völkerrecht betreffenden zwischenstaatlichen Streitigkeiten ist.

Neben dieser primären Funktion für Streitigkeiten unter Staaten kann der IGH von der Staatengemeinschaft auch um Rechtsgutachten ersucht werden. Ein solches hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Initiative des durch Extremwetterereignisse und steigende Meeresspiegel besonders betroffenen pazifischen Inselstaats Vanuatu beantragt. Zwar ist ein solches Gutachten nicht rechtsverbindlich, doch kann es bedeutende Klarstellungen zu Rechtsfragen liefern, die später von anderen Gerichten und Tribunalen aufgegriffen werden. Zudem bietet es oft die einzige Möglichkeit, um völkerrechtliche Fragen zu beantworten, für die es kein streitiges Verfahren zwischen Staaten gibt. Die damit geschaffene rechtliche Rute im Fenster hat in der Vergangenheit wiederholt politische Stillstände durchbrechen können (zuletzt im Fall der Rückgabe des Chagos-Archipels durch das Vereinigte Königreich an Mauritius).

Wird der IGH um ein Rechtsgutachten ersucht, ergründet er die Faktenlage schriftlich und mündlich, wobei sowohl Staaten als auch andere internationale Organisationen Stellungnahmen abgeben können. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht stellt das Rechtsgutachten zu staatlichen Verpflichtungen betreffend Klimawandel mit 91 schriftlichen Stellungnahmen und 62 Kommentaren einen Rekord auf; hinzu kamen noch mündliche Vorbringen von insgesamt 96 Staaten und elf internationalen Organisationen, was unterstreicht, wie bedeutsam das Thema für die Staatengemeinschaft ist.

Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt

In seinem Rechtsgutachten führt der IGH nun durch die historische Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis zum menschengemachten Klimawandel, insbesondere dessen Anerkennung im Rahmen der Vereinten Nationen, ihrer Spezialorganisationen und wissenschaftlicher Gremien wie dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).

Was die erste Frage nach den staatlichen Verpflichtungen angeht, ergeht sich der IGH zunächst in hauptsächlich deskriptiven Ausführungen zu den verschiedenen, für den Klimaschutz einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen, vom Klimarahmenübereinkommen der Vereinten Nationen samt Übereinkommen von Paris bis hin zur Internationalen Menschenrechtscharta. Auch die völkergewohnheitsrechtlich gefestigten Prinzipien des Umweltvölkerrechts wiederholt der IGH: von der Verpflichtung, aus Aktivitäten auf seinem Staatsgebiet keinen Schaden für andere Staaten erwachsen zu lassen ("no harm rule"), bis hin zu einer allgemeinen Kooperationspflicht zur Bekämpfung des Klimawandels. Sämtlichen dieser Pflichten gemein ist, dass sie weniger auf Erfolge der Staaten abzielen, denn auf Bemühen – insbesondere, was ihre selbst festgesteckten Emissionsziele betrifft.

Bemerkenswert ist vor allem das aus einer Zusammenschau menschenrechtlicher Verpflichtungen abgeleitete Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ("right to a clean, healthy and sustainable environment"). Hier beschreitet der IGH bereits von anderen Gerichten im Zuge sogenannter Klimaklagen vorgezeichnete Wege. Er stellt damit klar, dass Menschenrechtsschutz und Klimaschutz untrennbar verbunden sind – und folgt damit der Vorstellung der drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung, in der die wirtschaftliche Entwicklung die soziale bedingt und diese eine intakte Umwelt. Somit stehen auch menschenrechtliche Verträge in einem engen, komplementären Verhältnis zu Klimaschutzverträgen sowie den korrespondierenden gewohnheitsrechtlichen Prinzipien des Umweltvölkerrechts. Ebenso betont der IGH die Bedeutung einer Reihe umweltvölkerrechtlicher Prinzipien als Interpretations- und Anwendungsmaximen, darunter nachhaltige Entwicklung, Verantwortung, Leistungsfähigkeit oder intergenerationale Gerechtigkeit, die stets zu berücksichtigen sind, wenn es um staatliche Klimaverantwortung geht. 

Gleichheit vor dem Klimawandel

Was die Frage der Rechtsfolgen von Schäden am Klimasystem betrifft, betont der IGH, dass die Ansprüche besonders betroffener Staaten nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit nicht anders zu behandeln seien als jeder andere Anspruch auch. Mit diesem formalistischen Ansatz vermied es der Gerichtshof, sich weiter mit den praktischen Implikationen der Verpflichtungen zum Klimaschutz für konkrete staatliche Maßnahmen auseinanderzusetzen und verwies lediglich auf die gewöhnlichen Folgen einer Völkerrechtsverletzung: Beendigung eben dieser, Garantien der Nichtwiederholung und volle Wiedergutmachung.

Beispielhaft listet er auch auf, wie Staaten ihre Verpflichtungen zum Klimaschutz verletzen können, etwa durch Herstellung und Verbrauch fossiler Brennstoffe, aber auch durch Konzessionen und Subventionen. Dabei stellt der IGH aber zugleich klar: Nicht die Emission von Treibhausgasen selbst ist völkerrechtswidrig, sondern nur die Verletzung einer völkervertragsrechtlichen oder völkergewohnheitsrechtlichen Norm. Hierbei trifft Staaten auch eine Sorgfaltspflicht hinsichtlich des Handelns privater Akteure. Was der IGH keinesfalls gelten lässt, ist der Einwand, einzelne Staaten hätten kaum Einfluss auf den Klimawandel, wenngleich dies im Einzelfall konkret nachzuweisen wäre. Besondere Konsequenzen für die Staaten des "Globalen Nordens", die den größten Teil zu den globalen Treibhausgasemissionen beitragen, sind dem IGH-Gutachten aber nicht zu entnehmen. 

Alter Wein in universellen Schläuchen?

In separaten Voten monierten zudem die ugandische Richterin Julia Sebutinde und der somalische Richter Abdulqawi Ahmed Yusuf, der Gerichtshof hätte noch stärker auf Fragen der Klimagerechtigkeit und die Stellung zukünftiger Generationen eingehen müssen, wie es die Anträge der Generalversammlung insinuiert hatten. Diese Einwände lassen sich nicht von der Hand weisen. Dasselbe trifft auf die Bedürfnisse besonders betroffener und vulnerabler Staaten zu. Dennoch finden sich in dem Rechtsgutachten einige bedeutende Klarstellungen, die sich für zukünftige Verfahren vor internationalen (aber auch nationalen) Gerichten und Tribunalen nutzbar machen lassen werden. 

Neben dem amalgamierten Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt kommt der IGH zum Ergebnis, dass das, was Klimaklagen vor verschiedenen nationalen und internationalen Gerichten bereits gezeigt haben, auch ganz generell im Völkerrecht gilt: Wo Staaten ihre Bemühens- und Sorgfaltspflichten betreffend den Klimaschutz verletzen, kann man sie völkerrechtlich dafür verantwortlich machen. 

Für Umweltaktivistinnen und -aktivisten sowie NGOs kann das Gutachten sicherlich ihre Argumentation in der strategischen Prozessführung für den Klimaschutz stärken. Entsprechend wird das Rechtsgutachten in ersten Reaktionen und Schlagzeilen als "bahnbrechend", "historisch" und "wegweisend" gefeiert. Für die Staatengemeinschaft stellt es lediglich klar, was vorher schon galt.

Prof. Dr.iur. Dr.phil. Markus P. Beham, LL.M. (Columbia) ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

 

 

    Aus der Datenbank beck-online

    Rodi, Klimawandel als intergenerationelle und globale Herausforderung: Möglichkeiten und Grenzen des Rechts, KlimR 2025, 162

    Calliess/Täuber, Klimaklagen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, NVwZ 2024, 945

    Rodi/Kalis, Klimaklagen als Instrument des Klimaschutzes, KlimR 2022, 5

    Anzeigen:

    NvWZ Werbebanner
    VerwaltungsR PLUS Werbebanner

    BECK Stellenmarkt

    Teilen:

    Menü