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Parlamentarische Lücke in der Migrationspolitik

Professor Dr. Matthias Friehe, EBS Universität, Oestrich-Winkel

14/2025

Union und SPD haben sich auf eine restriktivere Migrationspolitik geeinigt. Eine Signalwirkung sollte die Zurückweisung Asylsuchender an den deutschen Außengrenzen entfalten. Dem hat allerdings eine Eilentscheidung des VG Berlin (NVwZ 2025, 1115, in diesem Heft) einen empfindlichen Dämpfer versetzt. In Übereinstimmung mit der Mehrheitsmeinung unter Migrationsrechtlern geht die Kammer davon aus, dass nach der Dublin-III-VO keine unmittelbare Zurückweisung Asylsuchender an der Grenze in Betracht kommt. Vielmehr müsse das in der Verordnung geregelte Verfahren zur Feststellung des für die Prüfung des Asylbegehren zuständigen Mitgliedsstaats in jedem Fall durchgeführt werden. Die Entscheidung unterstreicht die europarechtliche Dimension der Frage. Denn die deutsche Regelung im AsylG, wonach Asylsuchende aus sicheren Drittstaaten direkt an der Grenze zurückzuweisen sind, wird vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt.

Das Ergebnis ist kurios: Denn zwischen allen Beteiligten ist unstreitig, dass die somalische Antragstellerin Mitte April auf dem Landweg über Belarus nach Litauen eingereist und von dort über Polen nach Deutschland gelangt ist. Damit steht bereits fest, dass für die Prüfung des Asylbegehrens Litauen als Ersteinreiseland zuständig ist. Bei Lichte betrachtet geht es also nicht um die Klärung unklarer Zuständigkeiten. Vielmehr verteidigen Asyl-NGOs die Zuständigkeitsprüfung deswegen so vehement, weil sie zur Überlastung des Systems führt, so dass Betroffene regelmäßig nach sechs Monaten Asyl in Deutschland beantragen können. Die Dublin-Verfahrensvorschriften werden gezielt als Instrument dazu genutzt, die Dublin-Zuständigkeitsbestimmungen auszuknocken.

Ob diese Beobachtung zu einer anderen Auslegung der Dublin-III-VO führen kann, wird sich womöglich noch in späteren Gerichtsentscheidungen zeigen. Unabhängig davon wäre es zuerst Aufgabe des Gesetzgebers, dysfunktionale Gesetze zu ändern. Genau dies ist offensichtlich auch die Erwartungshaltung vieler Wähler, die sich eine Wende in der Asylpolitik wünschen. An dieser Stelle zeigt sich aber eine parlamentarische Lücke und damit ein demokratietheoretisches Problem. Denn noch immer ist das Europäische Parlament kein vollwertiges Parlament: Zum einen missachtet seine Zusammensetzung die Wahlrechtsgleichheit. Wegen der degressiven Proportionalität zählt eine in Litauen abgegebene Stimme ungefähr dreimal so viel wie eine in Deutschland abgegebene Stimme. Zum anderen hat das Europäische Parlament kein eigenes Initiativrecht. Anders als im Bundestag können die Abgeordneten in Straßburg aus eigener Initiative keine Änderung der Dublin-III-VO durchsetzen.

Daraus ergibt sich ein Dilemma: Der Bundestag kann keine Migrationswende herbeiführen, weil seine Gesetzgebung vom Unionsrecht verdrängt wird. Das Europäische Parlament kann keine Migrationswende herbeiführen, weil es kein Initiativrecht hat. Zudem ist es mangels Wahlrechtsgleichheit demokratisch nur unzureichend legitimiert. In einer zentralen politischen Frage werden damit Entscheidungen ohne unmittelbare Korrekturmöglichkeit für die Wähler und damit ohne hinreichende demokratische Legitimation getroffen – bzw. unterlassen.

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