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Brutto oder netto: Bürgergeldempfängerin muss nicht besser rechnen können als das Jobcenter

LSG Berlin
Bür­ger­geld­emp­fän­ger und -emp­fän­ge­rin­nen sol­len nicht für Feh­ler des Job­cen­ters haf­ten, wenn sie auf die Rich­tig­keit eines Be­scheids ver­trau­en durf­ten. Bei kom­pli­zier­ten Be­rech­nun­gen sei auch auf die per­sön­li­che Ein­sichts- und Ur­teils­fä­hig­keit des Adres­sa­ten ab­zu­stel­len, ent­schied das LSG Ber­lin-Bran­den­burg.

Eine Familie wehrte sich gegen Rückforderungen von überzahlten Bürgergeld-Leistungen. Das  Jobcenter hatte bei der Einkommensanrechnung einen Fehler gemacht und verlangte nun Rückzahlungen von mehr als 3.000 Euro. Das LSG Berlin-Brandenburg stellte fest, dass die Familie den Fehler nicht in grob fahrlässiger Weise übersehen habe, und entschied, dass sie das Geld nicht zurückzahlen muss (Urteil vom 03.04.2025 – L 3 AS 772/23).

Die dreiköpfige Familie bezieht seit Juli 2020 Bürgergeld vom Jobcenter. Im Februar 2021 trat der Ehemann eine Stelle als Verkäufer an und reichte seinen Arbeitsvertrag ein, der ein monatliches Nettogehalt von 1.600 Euro ausweist. Doch das Jobcenter berücksichtigte bei der Berechnung fälschlicherweise ein Bruttogehalt von 1.600 Euro statt das Netto.

Nach Vorlage der korrekten Lohnabrechnung mit einem Bruttoeinkommen von 2.001,75 Euro forderte das Jobcenter die Familie zur Rückzahlung der zu viel gezahlten Leistungen auf. Dies führte zu einer Klage vor dem SG Berlin, das jedoch zugunsten des Jobcenters entschied. 

Rücknahme des Bescheids nur bei grober Fahrlässigkeit möglich

Der 3. Senat des LSG sah das nun anders. Die Richterinnen und Richter stellten fest, dass der Fehler des Jobcenters zwar der Familie hätte auffallen können, sie aber nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Bei der Einkommensanrechnung handele es sich um eine komplexe Berechnung, die für juristische Laien schwer nachvollziehbar sei. Das Jobcenter habe die Verantwortung, die Daten korrekt zu berechnen, und dürfe nicht einfach erwarten, dass Leistungsempfänger bei so schwierigen Bescheiden Fehler selbstständig erkennen. Die Ehefrau habe den Bescheid geprüft und den Betrag von 1.600 Euro entdeckt, jedoch die Begriffe "brutto" und "netto" nicht eindeutig auseinanderhalten können, was nach Ansicht des Gerichts nachvollziehbar und glaubhaft sei. 

Der Senat erklärte, dass bei der Frage nach grober Fahrlässigkeit stets auf die individuelle Urteilsfähigkeit abgestellt werden muss. Hätte der Bescheid eine andere Person betroffen, wäre die Entscheidung möglicherweise anders ausgefallen. Eine rückwirkende Korrektur des Bescheids zum Nachteil der Familie sei ausgeschlossen, weil sie auf die Richtigkeit des Bescheids habe vertrauen dürfen. Dies habe zur Folge, dass das Jobcenter die zu viel gezahlten Leistungen nicht zurückfordern dürfe, so das Gericht.

Es stützte sich dabei auf § 45 Abs. 2 SGB X, nach dem ein begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, wenn der Begünstigte auf die Richtigkeit des Bescheids vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Eine Rücknahme wäre nur dann möglich gewesen, wenn die begünstigte Familie die Rechtswidrigkeit des Bescheids gekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hätte.  

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Jobcenter kann beim BSG die Zulassung der Revision beantragen (Urteil vom 03.04.2025 - L 3 AS 772/23).

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